Aufbruch zu neuen Ufern
Christian Gottfried Körner. Pastell von Dora Stock. 1792. Quelle: Schiller-Nationalmuseum
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Da ich von Natur aus ein friedliebender Mensch war, bedeutete es mir sehr viel, in Harmonie zu leben und für meine Ehre und Überzeugung mit Wort und Tat zu kämpfen. Deshalb entschloss ich mich endlich, nach vier Monaten, am 22. Februar 1785, auf den Brief meiner Leipziger Verehrer zu antworten, mit dem Ziel, Mannheim so schnell wie möglich zu verlassen.
Mein Brief an Christian Gottfried Körner gehörte zu den bedeutendsten meines Lebens. Noch befand sich mein Dasein auf des Messers Schneide, dessen Klinge ich nur zu hart auf meiner Seele spürte.
So schilderte ich ihm die unnennbare Bedrängnis meines Herzens, und, dass ich nicht mehr hier in Mannheim bleiben könne. Lange hatte ich mit mir gerungen, und ganze zwölf Tage brauchte ich für meine Entscheidung, Körner zu schreiben oder für immer aus dem Leben zu gehen. Alles war mir mittlerweile hier zuwider, die Menschen, meine Lebensverhältnisse, ja, das ganze Erdreich und auch den Himmel schloss ich mit ein.
„Ich habe keine Seele hier“, schilderte ich ihm, „keine einzige, die die Leere meines Herzens füllen könnte, keine Freundin, keinen Freund…“ Meine Seele dürstete nach neuer Nahrung, nach besseren Menschen, nach Freundschaft, Anhänglichkeit und Liebe.
Ich beschrieb, wie sehr ich den näheren Umgang mit ihm brauche, und, dass ich so schnell wie möglich zu ihm kommen müsse, um gemeinsam mit ihm ein neues Lebensgefühl zu entwickeln und endlich glücklich zu werden.
Auch warnte ich ihn vor, dass ich ein ganz erbärmlicher Sonderling sei, aber das würde gewiss unserer Freundschaft keinen Abbruch tun.
Am Ende meines Briefes musste ich schließlich das schreiben, was mir am Schwersten fiel. Da ich nicht von hier fort konnte, bevor nicht die brennendsten Schulden beglichen waren, und mir auch das Fahrgeld gänzlich fehlte, bat ich Körner um 300 Taler, die er als Vorschuss von einem Leipziger Buchhändler oder einem jüdischen Geldverleiher beschaffen sollte. Ich versprach ihm schuldbewusst, dass ich in Leipzig mein Finanzsystem in Ordnung bringen wollte. Einen Verleger für meine geplante Thalia wollte ich finden, und ich plante sogleich die Einnahmen mit 800 bis 900 Reichstaler dafür ein.
Körner befolgte umgehend meine Bitte und schickte mir das Geld, das er zuvor von dem jungen Verleger Göschen erhalten hatte. Dass Göschen wiederum von Körner finanziell unterstützt wurde, verschwieg er mir zunächst. So schien sich das Schicksal zu meinen Gunsten zu wenden, und ich konnte selbst noch nicht so recht an das Wunder glauben, das mir hier zuteil wurde.
Den letzten Abend vor meiner Abreise am 09. April 1785 verbrachte ich mit meinem Gefährten Streicher, dem ich seltsamerweise niemals tiefgehende freundschaftliche Gefühle entgegenbringen konnte. Vielleicht, weil er auf einer anderen Geistesebene schwebte, als ich. Wir gelobten im Scherz, einander nicht eher zu schreiben, als bis der eine Minister und der andere Kapellmeister geworden sei. Wie ich später erfuhr, hatte Streicher die Tochter Steins geheiratet und lebte als Klavierfabrikant in Wien. Wie das Schicksal entschied, sollte ich ihn niemals wiedersehen.
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