Weimarischer Rat
Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach. Quelle: Wikipedia
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Ein günstiger Umstand kam mir zur Hilfe, als sich Anfang des Jahres 1785 der Herzog Karl August von Sachsen-Weimar bei der Familie des Landgrafen zu Besuch in Darmstadt einstellte.
Ich wünschte mir sehnlichst, diesem so gepriesenen Fürsten persönlich vorgestellt zu werden, um mich ihm so präsentieren zu können, dass er mich für würdig befand, den Geistesgrößen von Weimar gleichgestellt zu sein.
Herr und Frau von Kalb bestärkten mich in diesem Vorhaben. Sie und auch Dalberg versahen mich mit Empfehlungsschreiben an die nächste Umgebung des Fürsten. Ein Vortrag meines
Don Carlos sollte mich in die erlauchte Gesellschaft einführen.
So wurde mir die Erlaubnis zur Vorlesung des ersten Aktes gewährt und mit anhaltendem Beifall belohnt. Anschließend bekam ich die Gelegenheit, mit dem Herzog lange über meine Zukunfts- und Heiratspläne zu sprechen. Danach kehrte ich stolz und mit dessen Wohlwollen als „Herzoglicher Rat“ in weimarschen Diensten nach Mannheim zurück.
Es war die Ironie des Schicksals, dass ich als vormals freier Weltbürger nun einem Fürsten diente, dessen Hoheitsgebiet ich noch nie gesehen und betreten hatte. Dieser Titel hatte keine finanziellen Verbesserungen zur Folge, gestaltete jedoch meine Zukunft um, weil er sofort meine gegenwärtige Situation erleichterte.
Alle Unkenrufe meiner Heimat waren seit meiner Ernennung zum Rat verstummt, und auch auf meine Eltern schien sie beruhigend zu wirken. Mit der Anerkennung aus dem Ausland hatte niemand in Stuttgart gerechnet. Mein Selbstbewusstsein wuchs, und ich wurde zunehmend freier und sicherer in meinem Auftreten. So machte ich meinem Unmut deutlich Luft, als die Schauspieler des Mannheimer Theaters am 18. Januar 1785 eine Vorstellung des Stückes
Kabale und Liebe verpfuschten, weil sie den Text nicht richtig beherrschten.
Ich war aus dem Meer des Niemandslandes den Wellen entstiegen und an den Ufern einer neuen Heimat gestrandet. Nun konnte ich mich stolz zu den Mitgliedern der edelsten geistigen Vereinigung Weimars zählen.
Wegen der vermittelten Einladung nach Darmstadt war ich Charlotte von Kalb sehr zum Dank verpflichtet. Unser freundschaftlicher Umgang war sehr intensiv, und die Besuche wurden immer häufiger. Sie gefiel mir, und ich glühte, denn es war mir nicht entgangen, dass sie mir schöne Augen machte. Die Situation verschärfte sich zusehends, bis wir uns im Liebesrausche verfallen ganz plötzlich in die Arme sanken. Unsere Küsse waren innig und die ihren fordernd, doch ich konnte mich in letzter Sekunde von ihr losreißen und mein heißes Blut zügeln.
Das durfte ich nicht tun! Sie gehörte zu einem anderen, und ich als überzeugter Verfechter von Tugendhaftigkeit und Moral hatte nicht das Recht, mit ihr diesen Eid vor Gott zu brechen.
Es war wie ein Donnergrollen in meinem Kopf, und ich spürte es in meinen wild pochenden Gliedern: Wieder musste ich entbehren, wonach sich mein Körper und mein Geist seit langem sehnte; wieder hatte ich mich zurückzunehmen und durch die Hölle der Entsagung zu gehen, und ich sah den Dämon Tugend triumphierend vor mir stehen. Was war das für ein Gott, der mir durch Konventionen dieses begehrenswerte Weib versagte, der mir wieder und immer wieder die Folter des Verzichts auferlegte!?
Ich resignierte und zog mich von ihr zurück, denn ich wollte zukünftig derartigen Versuchungen von vorneherein ausweichen. Doch je mehr ich mich von ihr abwendete, umso mehr klammerte sie sich an mich, immer noch hoffend, dass ich doch noch ihrem Flehen nachgeben würde. Sie hatte in den gesellschaftlichen Kreisen Mannheims einen gewissen Einfluss und konnte mir sehr gefährlich werden. Auch die Unannehmlichkeiten am Theater spitzten sich zu, denn die Schauspieler waren immer stärker gegen mich aufgebracht.
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