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Volkstedt und Rudolstadt

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Weimar Schloss und Park. Postkartenmotiv nach einer Zeichnung von Jagemann
 



Bereits vor Ende des vergangenen Jahres hatte ich mich dem Herzog Karl August der Form halber melden lassen, dabei jedoch darauf hingewiesen, dass ich kein besonderes Anliegen an ihn hätte. Daraufhin ließ er mir ausrichten, er werde mich empfangen und mich den genauen Zeitpunkt wissen lassen. Bisher hatte ich nichts mehr von ihm gehört, und ich glaubte, dass er es vergessen hätte. Für mich war sein Empfang nicht unbedingt notwendig. Wenn uns der Zufall zueinander führen würde, könnte ich ihn fast täglich im Park „am Stern“, während eines Spaziergangs treffen. Doch ich gefiel dem Herzog umso mehr, je weniger ich von ihm forderte.
 
Charlotte von Lengefeld war Anfang April 1788 nach Rudolstadt zurückgekehrt. Ihre Absicht, an den Hof zu gehen, lag nicht in meinem Sinne, denn das Hofleben und alles, was damit verbunden war, widerstrebten mir zutiefst.
Mit den dort herrschenden Oberflächlichkeiten konnte ich nichts anfangen. Ich liebte die Natur und das damit verbundene Freiheitsgefühl, und meine Armut passte nicht in die feine Gesellschaft. Obwohl mittellos, war ich doch stolz auf meine Gesinnung und Herkunft.
 
Charlottes Abreise hatte mich ein wenig traurig gemacht, denn nun konnte ich sie nicht mehr sehen, und auch das Schreiben war nicht mehr möglich. Als sie Weimar verließ, sicherte sie mir ihre Freundschaft zu. Wenn dies auch nicht das war, was ich mir erhofft hatte, war ich trotzdem froh darüber. Ihr Herz war immer noch nicht frei, und die alte Wunde noch nicht geschlossen. Aber ich blieb zuversichtlich.
 
Wenn erst die Frühlingssonne auf das kleine Samenkorn unserer Freundschaft schien, sollten wir sehen, welche Blume daraus erblühen würde.
 
Charlotte von Lengefeld war ganz anders als Henriette von Arnim und Charlotte von Kalb. Die beiden waren sehr exzentrisch und bewunderten mich, als bedeutenden Schriftsteller, über alle Maßen. Charlotte von Lengefeld hingegen war sehr zurückhaltend und beteiligte sich an einem Gespräch nur dann, wenn sie selbst angesprochen wurde, wobei sie sich durchaus selbstbewusst und ruhig verhielt. Sie erregte meine Aufmerksamkeit, ohne sich je dabei in den Mittelpunkt zu stellen oder mich zu bedrängen.
 
Ich schrieb ihr vor ihrer Abreise ein letztes Mal, mit der Versicherung, an sie zu denken und verfasste für sie das Gedicht: Einer jungen Freundin ins Stammbuch, welches ich ihr zur Erinnerung schenkte.
 
Mein Entschluss, den Sommer in Rudolstadt zu verbringen, festigte sich, und ich bat sie, mir dort ein Quartier zu suchen. Bereits gegen Ende April 1788 war die neue Unterkunft gefunden. Charlotte mietete für mich im Nachbarort Volkstedt eine Wohnung beim Kantor Unbehaun. Gleichzeitig warnte sie mich davor, ich solle mir von diesem Aufenthalt nicht zuviel versprechen.

Verschiedene Aktivitäten in Weimar ließen es nicht zu, sofort die Reise dorthin anzutreten.
 
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Teepavillon im Tiefurter Schlosspark. Foto: Gisela Seidel
 



Anfang Mai lud die Herzoginmutter zum gemeinsamen Essen in die Sommerresidenz Tiefurt, am 14. Mai war ich zusammen mit Herder, Bode, Voigt und Knebel zu Gast bei Bertuch und tags darauf Gast im Hause Wielands. Außerdem wurde ich mehrfach zum Souper eingeladen, zusammen mit Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Verfasser von patriotischen, preußischen Kriegsliedern, die ich bereits aus meiner Akademiezeit kannte.
 
Die Weimarer Gesellschaft lockte mit Teerunden und Konzertbesuchen, deren Abwechslung ich nicht widerstehen konnte.
 
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Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Maler unbekannt. Quelle: Wikipedia
 


 
Die Umgebung gefiel mir sofort. Das Haus in Volkstedt lag freistehend, abseits vor dem Dorfe, und ich konnte von meinem Fenster aus dem Laufe der Saale folgen und sehen, wie sie durch die Wiesen zwischen uralten Bäumen dahin floss.

Die ländliche Idylle entsprach genau meinen Wünschen, und ich lebte in dieser reizvollen Umgebung auf. Am jenseitigen Flussufer waren kleinere Dörfer zu sehen, die verstreut am Fuße des waldigen Berges lagen, auf dem auch das Schloss von Rudolstadt gebaut war. Rudolstadt und das Haus der Lengefelds waren in einer halben Stunde Fußweg bequem zu erreichen. So nutzte ich die dörfliche Abgeschiedenheit für meine Arbeit an der Niederländischen Geschichte und setzte auch die des von mir ungeliebten Geistersehers fort.
 
Doch bereits Ende Mai befiel mich durch eine hier herrschende Epidemie ein böser Schnupfen, der mit Kopfschmerzen, Fieber und Schüttelfrost einherging und der mich an meiner Arbeit hinderte. 
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 Schiller und die Lengefeld-Schwestern, 1861. Carl August Schwerdgeburth.
 



Täglich korrespondierte ich mit Charlotte und genoss so oft wie möglich an den späten Nachmittagen und Abenden die Gesellschaft der Schwestern, bei einer Tasse Tee und interessanten Gesprächen. Karoline entwickelte sich für mich zur idealen Gesprächspartnerin, weil sie mir durch ihre stark ausgeprägte literarische Neigung bei Problemlösungen behilflich sein konnte, die sich während meiner Arbeit ergaben.
 
Sie war zwar nur drei Jahre älter als Charlotte, aber von reiferem Verstand. Weil sie ihr eigenes schriftstellerisches Talent nur sporadisch ausleben konnte, da dies zu der Zeit im festgelegten Rollenbild der Frauen nicht schicklich war, fühlte sie sich erheblich an ihrer Selbstverwirklichung gehindert. Auch die eheliche Zweckverbindung mit dem elf Jahre älteren Legationsrat Friedrich Wilhelm Ludwig von Beulwitz diente nur dem wirtschaftlichen Auskommen der Familie, denn die finanziellen Verhältnisse der Lengefelds waren nach dem Tod des Vaters nur kurzfristig gesichert gewesen. 
 
Beulwitz verfügte über ein beträchtliches Familienvermögen. Er hatte bereits nach der Verlobung mit Karoline die Unterhaltszahlungen der Familie Lengefeld übernommen.
 
Karoline hatte sich geopfert und litt unter ihrem groben, ungeschliffenen, wenn auch geschäftstüchtigen Ehemann. Er war zwar nicht an literarischen Dingen interessiert, unterhielt sich jedoch gerne mit mir über politische und allgemeine Themen. Wann immer es seine knapp bemessene Zeit zuließ, gesellte er sich zu unserer Runde.
 
Auch der Baron von Gleichen, der mit der Familie Lengefeld befreundet war, besuchte ihr Haus fast täglich. Da sich dessen Lieblingsgespräche um den Bereich der Metaphysik drehten, war es mir offen gestanden nach einiger Zeit über, mit ihm darüber zu reden, weil dieses Gebiet nicht unbedingt zu meinen Interessen gehörte.
 
Zu unserem Zirkel gesellte sich später auch Goethes Freund Knebel, der offenkundig um Charlotte warb, doch bei ihr kaum eine Chance hatte.
Ich liebte und genoss die familiäre Geborgenheit, die angenehme Gesellschaft der Schwestern, die mit ruhiger Anhänglichkeit und keinerlei leidenschaftlicher Heftigkeit einherging.
 
Mutter Louise von Lengefeld und ihre Töchter Charlotte und Karoline hatte ich gleich lieb gewonnen. Doch ahnte ich nicht, wie besorgt die Mutter die Entwicklung unserer Beziehung zueinander beobachtete.
 
Da die Beulwitz-Ehe kaum Bestand haben würde, sorgte sie sich um das standesgemäße wirtschaftliche Auskommen ihrer Familie. Ich war ein mittelloser Schriftsteller, noch dazu ohne Adelstitel, der als Verbindung mit Charlotte nicht in Frage kam. Um unsere zunehmende Vertrautheit zu unterbrechen, unternahm sie in diesem Sommer und Herbst gemeinsam mit Charlotte mehrere Reisen. 
 
In der Zwischenzeit war Goethe am 18. Juni 1788 nach Weimar zurückgekehrt, und ich fieberte schon jetzt seiner Bekanntschaft entgegen, denn es gab wenige, deren Geist ich so verehrte wie den seinen. Frau von Stein hatte in Kochberg ein Gut, zu dessen Besuch sich Goethe angekündigt hatte.
Neben Knebel reisten Charlotte und ihre Mutter ebenfalls Ende August nach Kochberg.
 
Auch Wilhelm von Wolzogen kam zu Besuch. Er und ich hatten immer noch die Hoffnung, dass seine Mutter nach ihrer schweren Operation wieder genesen würde. Mitte Juli schrieb ich ihr, um ihr Mut für die Zukunft zu machen. Wilhelm traf die letzten Vorbereitungen für seine Abreise nach Paris, was seine Mutter sehr zu beunruhigen schien.
 
Henriette von Wolzogen starb am 5. August 1788, sodass Wilhelm seine Reise erst im Oktober antreten konnte. Er sollte erst im Sommer 1791 wieder aus Frankreich zurückkehren.
 
Die Nachricht von Henriettes Tod traf mich zutiefst, hatte uns doch eine tiefe Freundschaft verbunden. Andererseits war ich erleichtert, dass ihr ein langer Leidensweg erspart geblieben war.
 
Wegen des anhaltenden Regenwetters und des daraus resultierenden Rückfalles meiner fieberhaften Erkrankung, wechselte ich Mitte August mein Quartier und zog nach Rudolstadt, ganz in die Nähe des Lengefeld-Hauses.
 
 
 
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