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Regimentsmedikus

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Originaluniform des Grenadierregiments Augé. Quelle: Wikipedia
 



Während meines letzten Studienjahres betreute ich einen gleichaltrigen Kommilitonen, Joseph Friedrich Grammont, der sich seit dem Tod seines Vaters im November 1779 in einer schweren seelischen Krise befand. Grammont gehörte zu den besten Schülern des Jahrganges. Als sich die schwere Melancholie schließlich durch körperliche Symptome äußerte, war Grammont nicht mehr in der Lage, dem schulischen Ablauf zu folgen. Er gestand mir in einem vertraulichen Gespräch seine Selbstmordgedanken und bat um ein Schlafmittel. Um einen drohenden Selbstmordversuch zu verhindern, wurden auch andere Medizinstudenten mit dessen Überwachung beauftragt, die dem Intendanten von Seeger darüber genauestens Bericht erstatten mussten. Über einen Zeitraum von fünf Wochen schrieb ich sieben Berichte an ihn. Der Herzog Karl Eugen besuchte den Kranken täglich und erkundigte sich besorgt nach dessen Befinden.
 
Selbst eine Kur und andere ablenkende Maßnahmen konnten den Zustand von Grammont nicht bessern. Immer wieder kam es zu neuen Krisen und schweren melancholischen Phasen, die nicht zuletzt auf das strikte militärische Gefüge der Karlsschule zurückzuführen waren.    
 
Am 13. Juni 1780 starb mein Freund Christoph August von Hoven im Alter von neunzehn Jahren. Tagelang hatte ich an seinem Krankenbett gewacht, und auch in der Nacht seines Todes war ich zusammen mit seiner Mutter an seiner Seite gewesen.
Nun hatte die Welt und das Leben noch mehr an Reiz für mich verloren! Tausendmal beneidete ich ihn damals um seinen Tod, und je älter ich wurde, desto mehr wünschte ich mir, als Kind gestorben zu sein. Noch wochenlang blieb meine Seele durch dieses Ereignis erschüttert.
 
Gegen Jahresende erkrankte auch mein zeitweiliger Zimmergenosse Johann Christian Weckherlin schwer an Lungenschwindsucht und verstarb Mitte Januar 1781.

Es war ebenfalls im Jahre 1780, als wir Zöglinge das Geburtstagsfest des Herzogs mit der Aufführung eines Schauspiels begehen wollten. Da man mich mit der Auswahl des Stückes und der Besetzung der Rollen beauftragt hatte, fiel die Wahl auf Goethes „Clavigo“ und natürlich besetzte ich mich selbst für die Hauptrolle. Es war mir lange Zeit nicht bewusst, dass ich als Schauspieler nichts weiter war, als eine belächelte Witzfigur. Aufgrund der erzwungenen deutlichen Aussprache und meiner nicht gerade schönen Stimme klang mein Vortrag nicht nur pathetisch, sondern so, dass meine Kameraden an gewissen Stellen in lautes Gelächter ausbrachen.

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Kasernenhof Hohe Karlsschule, Stuttgart. Kolorierter Stahlstich nach einer Zeichnung von Karl Philipp Conz. Quelle: Wikimedia
 



Endlich wurde ich im Dezember 1780 von der Akademie entlassen, und die Freiheit schien ein wenig näher gerückt. Doch als Regimentsmedikus im 240 Mann starken Stuttgarter Grenadierregiment „General Augé“, das fast ausschließlich aus Invaliden und Krüppeln bestand, war es mir auch weiterhin nicht erlaubt, die Stadt zu verlassen oder meine Eltern zu besuchen, obwohl diese ganz in die Nähe des Schlosses Solitude gezogen waren.  
Wieder wurde ich in eine Uniform gesteckt, jedoch ohne Portepee, einer seitlich am Degen befestigten Quaste, wie es für eine Offiziersuniform schicklich gewesen wäre.
 
Obwohl mein Vater den Herzog darum bat, an Stelle des mich lächerlich machenden Kleidungsstückes neutrale Anzüge tragen zu dürfen, die er zuvor hatte schneidern lassen, unterlag ich dem herzoglichen Befehl, die Uniform des einfachen Feldscherers weiterhin tragen zu müssen.
 
Das empfand ich als puren Akt der Willkür und sah dies darin bestätigt, dass es dem Herzog offensichtlich Vergnügen bereitete, mich als Witzfigur dargestellt, von meinen Kameraden verhöhnt zu sehen.
 
So passten meine hängenden Schultern und mein nachlässiger Gang, dazu noch die überlangen Arme und meine nach außen stehenden großen Füße gar nicht in eine alte Uniform preußischen Schnittes, wie auch mein großer Kopf nicht unter den zu kleinen Hut mit dem falschen Zopf passte, was durch die gepuderten roten Haare, die eingegipsten Seitenlocken und mein bleiches Gesicht noch auffälliger wurde.
 
Da es mir von jeher an der nötigen Disziplin fehlte, meine innere Gleichgültigkeit militärischen Dingen gegenüber nicht nach außen sichtbar zu machen, so bestärkte mich dies in meinen Gedanken, das ungeliebte Schwabenland so schnell wie möglich auf Nimmerwiedersehen verlassen zu wollen. Alles in allem war es die beschämende Nichtachtung meiner Person, die mein Innerstes in Aufruhr brachte.
 
Viele Dinge hatte man mir auf der Akademie beigebracht, so auch die Reinlichkeit des Leibes. Aber ich wusste nichts von einem gepflegten, ansprechenden Äußeren, von stilvoller Bekleidung und dem Umgang mit der Weiblichkeit.

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 Schiller als Regimentsarzt (1781/82) Gemälde von Philipp Friedrich Hetsch – Quelle: Wikipedia

                                                       
Kurzum, mir war es zu dieser Zeit völlig gleichgültig, ob mein Haar gekämmt war oder nicht, und ob meine Kleidung akkurat aussah, interessierte mich wenig. Das änderte sich erst in späteren Jahren. Anfangs, nach meiner Entlassung von der Akademie, war für mich nur der ein Mann, der auch danach roch. Allzu häufiger Tabak- und Weingenuss taten hier ihre Wirkung. Schnupftabak war das notwendige Übel, das ich täglich zu mir nahm. Beim Fehlen desselben begnügte ich mich mit einer von der Wand gekratzten Prise Staub, um meine Geruchsnerven zu kitzeln.
 
Erst ein paar Wochen im Regiment, fand ich im Februar 1781 ein möbliertes Zimmer zur Untermiete in der Wohnung der Hauptmannswitwe Vischer. Sie lebte dort zusammen mit ihren zwei Kindern, denen ich herzlich zugetan war. Die Räumlichkeiten waren von ihr im Hause des Professors Haug gemietet, welches in Kasernennähe am langen Graben lag.
 
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Schattenriss: Franz Joseph Kapf. Quelle: Könnecke 1905
 

Dort hauste ich mehr schlecht als recht aus Gründen der Kostenteilung gemeinsam mit einem Kameraden, Leutnant Franz Joseph Kapf, einem Großmaul, der unverschämt und bösartig sein konnte. Besonders nach üppigem Weingenuss ließ er seine offensichtliche Unzufriedenheit an mir aus.
 
Ich fühlte mich bereits ein wenig in der Selbstständigkeit stehend, war jedoch immer noch dem Militär und dem Herzog verpflichtet.
 
Obwohl das Zimmer eher einem kleinen Loch glich, gefüllt von Tabakrauch und anderen widerwärtigen Gerüchen, war ich froh, dem Kasernenleben und der ständigen Aufsicht ein Stück weit entflohen zu sein.
 
Erstmals durfte ich nun über einen Aufwärter verfügen, den ich mir unter zweihundertundvierzig Grenadieren aussuchte, den Fourierschütz Kronenbitter, zwar etwas grotesk aussehend von Gestalt, jedoch folgsam und umgänglich. So ging es mir nun besser als zuvor, denn noch nie hatte ich über solche Annehmlichkeiten verfügen können.
 
Der Raum war spärlich möbliert, nur mit einem großen Tisch, zwei Bänken und einer Garderobe darin. In einer Nische befanden sich zwei Feldbetten. In der einen Ecke lagen haufenweise Kartoffeln, zusammen mit leeren Tellern und Flaschen, in der anderen mein fast fertig gestelltes Manuskript des Räuber-Dramas. Unsere Ernährung war nicht sehr abwechslungsreich. Sie bestand fast ausschließlich aus Kartoffeln und Knackwurst. Ein täglicher Weingenuss war wegen des dafür zu geringen Gehaltes von 18 Gulden nicht möglich, wurde jedoch gelegentlich ausgiebig genossen.
 
Meine knapp 30-jährige Zimmerwirtin wirkte durch eine besondere Ausstrahlung auf mich. Luise Dorothea Vischer verschönerte meine Wohnsituation durch ihre Anwesenheit. Ich verlor mich in Schwärmereien, träumte von ihrer Nähe und verging vor Sehnsucht nach der noch nie zuvor ausgelebten Sinnlichkeit.
 
Eine neue Welt tat sich mit einem Male auf, die ich in meinen Oden an Laura niederschrieb. Wie schön schien mir das Leben zu sein, wenn es gefüllt war mit Liebe! Doch sollte mir bald die erste schmerzliche Erfahrung zeigen, wie nah Liebe mit Leid verbunden war. So wuchs mein Verlangen täglich, schien mich zu übermannen und ließ mich ohnmächtig vor dieser Frau auf die Knie sinken. Wie hing ich an ihren Lippen, folgte ihren Schritten und empfand schon ein Lächeln von ihr wie eine Liebeserklärung.
 
Ewig würde es währen! – So erlag ich dem Irrglauben an dieses große, neue Gefühl. Obwohl meine Wirtin keinesfalls den üblichen Schönheitsidealen entsprach, sondern eher dem Gegenteil und noch dazu ein wenig kleingeistig, auch nicht gerade meinen Vorstellungen, war ich, zum Spotte aller Eingeweihten, mit rosaroter Blindheit geschlagen.
 
„Meine Laura“ wurde schöner dank des Weingeistes im Blute, machte sie doch einen erstklassigen Punsch. Angetrieben von Äußerungen meines Zimmergenossens genoss ich voller Hingabe ihre Nähe. Ich war gefangen von ihren blauen Augen und ihrem Klavierspiel. Mein Werben war für sie ein willkommener Zeitvertreib. Da sie mich jedoch als Liebhaber ablehnte, blieb mir nichts anderes übrig, als meine Männlichkeit bei Frauen auszuprobieren, die den Soldaten für gewöhnlich in Bordellen zugetan waren.
 
Dennoch vertraute ich „meiner Laura“ damals allzu naiv. Als ich Monate später mein Vertrauen durch sie missbraucht sah, weil sie geheime Briefe, die ich während meiner Flucht schrieb, indiskret herumgereicht hatte, brachte mich dies unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich schwor insgeheim, bei geschwätzigen Frauenzimmern zukünftig Vorsicht walten zu lassen und benutzte später die Indiskretion der „Vischerin“ dazu, andere Leute in Bezug auf meinen Aufenthaltsort in die Irre zu leiten.
 
Jahre später erfuhr ich von meinem Vater, dass meine damalige Angebetete mit einem jungen österreichischen „Kavalier“ entflohen sei, der ebenfalls ein früherer Zögling der fürstlichen Akademie gewesen war.
 
Eine Frau, die wie meine Mutter Bescheidenheit und Tugendhaftigkeit ausstrahlte, war nach der Entlassung aus der Karlsschule nicht gerade das, wonach ich mich sehnte. Schließlich hatte ich sehr viel nachzuholen und tat dies nun ganz ausgiebig. Doch obwohl ich in dieser Zeit die sittliche Reinheit eingebüßt hatte, sollte die Tugendhaftigkeit schon bald wieder siegend zurückkehren.

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Luise Dorothea Vischer.
 

 

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