Ludwigsburg

Schloss Ludwigsburg. Quelle: Wikipedia
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Im Laufe der Zeit brauchten sich die Ersparnisse meiner Eltern auf, und mein Vater beschloss aus Existenznot, der soldlosen Zeit nach jahrelangem Lebenskampf ein Ende zu setzen. Aufgrund seiner persönlichen Bittstellung war es ihm letztendlich gelungen, im Dienste des Herzogs Karl Eugen in die Garnison von Ludwigsburg versetzt zu werden, der meinem Vater den zuvor geschuldeten Sold nun nach und nach auszahlte.
1768 hieß es also wieder umziehen und erneut alle zuvor geknüpften Freundschaftsbande lösen. Wieder war ich alleine und flüchtete in die Welt der biblischen Geschichten und der Bücher, die meine Mutter mir zu lesen gab. So verschlang ich jedes Buch, dessen Verständnis mir mit meinen noch geringen Kenntnissen der deutschen Sprache möglich war.
Der lieb gewonnenen ländlichen Idylle war ich entrissen und wurde nun konfrontiert mit der pulsierenden, lebhaften Stadt Ludwigsburg. Wie fremd hier alles war! Da spazierten edle Damen in mit Spitzen verzierten, weit schwingenden Kleidern und hoch getürmten, mit bunten Bändern drapierten Haaren.
Ich bestaunte die weiß geschminkten Gesichter und die gepuderten Perücken, sah Männer mit glänzenden Fräcken und Degen an der Seite. Mir riesig erscheinende Soldaten liefen mit seitlich rasselnden Säbeln in roten Uniformen durch die Straßen. Lange Zöpfe schauten unter ihren gelben Kappen hervor, und sie schritten stolz und eilig über das alte Pflaster.
Auf dem Marktplatz trieben nicht nur Gaukler und fahrende Künstler ihr Spiel. Oft bot er den blutrünstigen Gaffern ein Schauspiel des Spießrutenlaufes, und auch ein Galgen überragte warnend und bedrohlich den Platz. Das alles machte mir Angst, und ich konnte mich nicht schnell eingewöhnen.

Soldatenstrafen. Illustration von Daniel N. Chodowiecki, Quelle: Basedows "Elementarwerk
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Zu meiner großen Freude durfte ich, fast 9-jährig, zum ersten Mal gemeinsam mit Eltern und Schwester die Oper besuchen. Natürlich hatte ich schon viel davon gehört und war so aufgeregt, dass meine Mutter mich schalt, ich solle Ruhe geben. Es war für mich ein großartiges Erlebnis, wenn auch die pompöse Oper und das Ballett nicht gerade meine Erwartungen befriedigten. Jedenfalls spornte es mich mit Feuereifer an, zu Hause mit Pappfiguren Theater zu spielen. Ich war berauscht, sah neue Möglichkeiten, die mir bisher nur aus Erzählungen bekannt waren.
Dieser Theaterbesuch wurde zu einem Schlüsselerlebnis, und er wiederholte sich manches Mal, wenn ich Vater besonders gute Schulleistungen nach Hause brachte. Zum Sturme in eine neue Zeit wurde ich gerufen, aber ihr fremder Klang war noch zu fern, um die leisen Töne vernehmen und ihnen letztendlich folgen zu können.
Außerdem hing ich damals noch an den elterlichen Rockzipfeln und musste mich fügen. So gab ich mich Erwachsenen gegenüber stets schüchtern und ungewandt, zumal mein etwas linkisches Verhalten meine Erzieher zu Ohrfeigen und anderen Züchtigungen animierte.
Unter Gleichaltrigen meist tonangebend, imponierte ich den älteren Kameraden und löste bei jüngeren Spielgefährten einen gewissen Respekt aus, besonders, wenn ich später ungerechte Misshandlungen der Lehrer ohne jegliches Jammern über mich ergehen ließ.
Da ich nicht nutzlos zu Hause herumsitzen sollte, war mein Vater bemüht, für mich schnellstmöglich eine neue Schule zu finden. So musste ich auf die lateinische Schule gehen, die mich die Bekanntschaft mit Professor Johann Friedrich Jahn, meinem neuen Lehrer, machen ließ, der mir neben dem Lateinischen auch etwas Griechisch und Hebräisch beibringen sollte.
Als angesehener Sprachlehrer war er gewiss nicht unbedeutend, jedoch litt ich unter seiner rauen und launenhaften Art, mit der er uns Schüler immer wieder aufs Neue einschüchterte. Nie waren wir vor seinen Angriffen und Ohrfeigen sicher. Er sollte nicht der einzige Lehrer dieser Art bleiben, der aufgrund seiner Härte und Bösartigkeit von den Schülern gefürchtet wurde.
Wir bewohnten damals dasselbe Haus wie die Familie des Offiziers von Hoven, der ebenfalls im Dienste des Herzogs stand. Zwischen seinen Söhnen Friedrich Wilhelm und Christoph August und mir, die in meinem Alter ebenfalls auf der Lateinschule unterrichtet wurden, entwickelte sich bald ein kameradschaftliches Verhältnis.
Friedrich Wilhelm von Hoven. Quelle: Könnecke 1905
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Im Jahre 1770 wurde ich bei Professor Jahn in Kost und Wohnung untergebracht, da meine Eltern nach Stuttgart, in die Nähe des soeben erbauten Lustschlosses Solitude, umzogen, weil der Herzog meinem Vater die Oberaufsicht über alle Gartenanlagen und Baumschulen übertragen hatte. So verblieb ich zwei Jahre alleine in Ludwigsburg.
Da mir all der väterliche Segen zuteil werden sollte, auf den mein Vater aufgrund des frühen Ablebens meines Großvaters hatte verzichten müssen, war für mich ein Studium vorgesehen. Doch dazu wurden nur die besten Schüler zugelassen.
Trotz des eher langweiligen Unterrichtes absolvierte ich die jährlichen Landesexamen mit Auszeichnung. Ich bemühte mich besonders, weil ich später als Theologiestudent in eine Klosterschule eintreten wollte. Aber auch die Furcht vor den Züchtigungen des Vaters und des Lehrers waren Antrieb für meine schulischen Fortschritte. Ich malte mir aus, wie angenehm da die Klosterschule sein musste, und meine Tagträume nahmen mir die Schwermut aus dem Herzen.
In meinen Visionen glänzten die großen Städte mit ihren Theatern und Bühnen. Wie sehr sehnte ich mich fort von all’ den Zwängen, denen ich mich hier zu unterwerfen hatte.
Getrennt von Eltern und wirklichen Freunden fiel ich durch mein gereiftes Verhalten auf. Wo sich meine Schulkameraden noch am Ballspiel begeisterten und die Freistunden verspielten, war es mir mein Liebstes, die wunderschöne Gegend um Ludwigsburg mit einem Sinnesgenossen zu erkunden.
Gerne führte ich schon damals Gespräche über ein wohl finsteres Zukunftsbild und beklagte mich über mein hartes Schicksal. Wohin sollte mich mein bürgerliches Leben tragen? Hatte ich eine Wahl? Ein ähnliches Dasein wie meine Eltern konnte ich mir für mich nicht vorstellen. Erträglich wurden mir diese Überlegungen nur durch eine Gedankenflucht, und in mir erwachte, aus der Tragik unglückseliger Stimmungen, meine spätere Berufung, wie die Geburt der Venus.
Ich war gefangen auf einer Insel der unaussprechlichen Ideen, die sich erst mit dem Festland der Alltäglichkeiten verbunden zu etwas Außergewöhnlichem entfalten würden. Aber wie sollte ich jemals dieses ferne Ufer erreichen?
1772 wurde ich konfirmiert. Zu dieser Zeit schrieb ich mir zum ersten Mal in den Versuchen der Trauerstücke “Die Christen und Absalom” meine Ängste von der Seele, was mein Vater jedoch mit Missfallen betrachtete. Ob er mein Werk heimlich dem Feuer übergab, weiß ich heute nicht mehr, aber es ging verloren.
Da eine sehr gute Ausbildung für eine aus bürgerlichem Hause stammende Person zwar möglich, jedoch schier unbezahlbar war, wurde mein Wunsch, als orthodox erzogener Lutheraner Pfarrer zu werden, in die Überlegungen meiner Eltern mit einbezogen, zumal die Kosten für das Theologiestudium von der Kirche übernommen wurden.
Ich empfand damals, durch meinen Religionslehrer, Superintendent Zilling und dessen harten, dogmatischen Unterricht gequält, die religiöse Erziehung eher als widerwärtig und ungerecht. Es stand in einem abnormen Gegensatz des zuvor von Elternhaus und Pastor Moser Vermittelten. Meine Seele blieb fortan der Kirche gegenüber gespalten.
Theater statt Theologie! Hier sollte ich zumindest später den Anfangsbuchstaben treu bleiben und die Kanzel gegen die Bühne tauschen. Da der Herzog mehr als zufrieden mit der Arbeit meines Vaters war, wurde dieser zwischenzeitlich zum Major erhoben.
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