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Reise nach Bad Lauchstädt

Anfang Juli entschloss ich mich zu einer Reise nach Lauchstädt, die ich aufgrund meiner Krankheit und der langen Wegstrecke von fünfzehn Stunden bisher immer gescheut hatte und kam dort am 2. Juli 1803 an.
 
Der Ort machte einen schönen Eindruck auf mich, die Alleen und Parkanlagen luden zu Spaziergängen ein, und es waren Menschenmassen unterwegs, die zwanglos umherflanierten. Ich mischte mich gerne darunter. Durch das rege Treiben in der Stadt hatte ich Mühe ein Quartier zu finden, fand dann schließlich eines zwischen der Allee und dem Komödienhaus, sehr hübsch gelegen im Parterre, angrenzend an einen Garten, in dem mir alle Nachbarn gänzlich unbekannt waren, so dass ich mich dort frei bewegen konnte.
 
Die Mahlzeiten wurden in einem Salon eingenommen, der fast so groß war wie der Konzertsaal im Landschaftshaus in Weimar. In diesem Salon hielten sich fast immer bis zu 120 Gäste auf, und es war lustig der Gesellschaft zuzusehen. Viele Offiziere aus Sachsen und Preußen verkehrten hier, und von den Damen waren einige recht hübsche zu sehen.
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Friedrich Schiller in seiner letzten Lebenszeit, eine aus der Erinnerung gemalte Miniatur von Emma Körner (1812), die Charlotte von Schiller stets bei sich trug.
 



Der Prinz von Württemberg war einen Tag nach meiner Ankunft in Begleitung seines Rittmeisters August Philipp Friedrich von Wolzogen, dem Bruder Wilhelm von Wolzogens, angekommen, und seitdem war ich ständig mit ihm zusammen. Der Prinz war ein sehr angenehmer Mensch und genoss offensichtlich das anonyme Abtauchen in der Masse, die ihn nicht erkannte.
 
Bei drückend schwüler Luft war am Theater die Braut von Messina gegeben worden. Der Zuschauerandrang war enorm, und am Liebsten hätte ich mich weit weg gewünscht, so unerträglich heiß war es im Raum. Während der Aufführung brach plötzlich ein schweres Gewitter los, wobei der Schlag des Donners und der trommelnde Regen so heftig schallten, dass man eine Stunde lang fast kein Wort der Schauspieler verstehen konnte und die Handlung nur aus der Pantomime heraus zu erraten war. Ein angstvolles Tuscheln ging durch den Zuschauerraum, und die ängstliche Anspannung der Schauspieler war nicht zu übersehen, so dass ich befürchtete, dass jeden Moment der Vorhang fallen würde.
 
Als sich die Anzahl der Blitze steigerten, flohen viele Frauenzimmer aus dem Haus ins Freie. Obwohl die ganze Aufführung hochgradig durch das Gewitter gestört wurde, spielten die Schauspieler das Stück bis zum Ende.
 
Bei den „gewaltsamen Verwünschungen des Himmels“, welche die Isabella in ihrer Rolle im letzten Akt auszusprechen hatte und die mit den Worten: „Wenn die Wolken getürmt den Himmel schwärzen, wenn dumpftosend der Donner hallt...“, fiel der wirkliche Donner mit fürchterlichem Getöse ein, so dass dabei eine vom Schauspieler Graff aus dem Stegreif dargestellte Geste das ganze Publikum ergriff.
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Nach einem Ball, in nächtlicher Stimmung, wurde mir von Studenten aus Halle und Leipzig als Zeichen der Liebe und Verehrung ein Ständchen gebracht, und auch des Morgens, wurde ich von einem solchen vor meinem Fenster geweckt.
 
Des abends war ein Haufen Studenten in meine Stube eingedrungen, um mich zu einem Liebesmahl zu entführen, und auch nachdem ich freundlich abgewinkt hatte, weil ich zu Bett gehen wollte, folgte eine neue Anordnung, die mich erst zum Lachen brachte und schließlich sanft, mit Hilfe meines Dieners, in meine Kleider zwang. Eine Stunde lang verbrachte ich bei reichlichen Mengen an Naumburger Bier inmitten einer begeisterten Menge, deren Händedrücken und Umarmungen ich nicht ausweichen konnte, und die mich mit Gesängen, darunter auch Freude, schöner Götterfunken, ehrten.
 
Bereits am vierten Tag meines Aufenthaltes in Lauchstädt war ich des Müßigganges überdrüssig, und ich bedauerte, die Zeit hier ohne Arbeit verschwendet zu haben. Ich sehnte mich zurück nach meinen Schreibtisch und vermisste Lotte und die Kinder, zumal der Herzog von Württemberg abgereist war, und ich hier nur wenige interessante Leute kennen gelernt hatte. Einziger Lichtblick waren die Steins und Professor Niemeyer, der mich zu sich nach Halle einlud. Doch konnte ich die Zeit dort wenig genießen, weil mich dort die Krämpfe zunehmend heimsuchten.


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