Mainzer Hoffnungen
Karl Theodor von Dalberg. Maler unbekannt. Quelle: Bistum Regensburg
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Da meine Vorlesungen erst am darauf folgenden Montag wieder beginnen sollten, blieb mir noch etwas Zeit, um zur Ruhe zu kommen und das bereits Erarbeitete nochmals durchzugehen.
Der Verkehr im Griesbachschen Hause brachte mir ein wenig Ablenkung, denn ich hatte Mühe, mich wieder in meinen Alltag einzufinden. Beim ersten Besuch empfing mich Frau Griesbach mit verweinten Augen, da am gleichen Tag im Hause von Justus Christian Loder, der als Professor der Medizin in Jena lebte, dessen einjähriges Töchterchen an Masern verstorben war.
Griesbachs hatten mir viele Neuigkeiten zu berichten, auch, dass sie Knebel, der sich einige Zeit in Jena aufgehalten hatte, häufig besucht habe. Dieser war Mitte Oktober nach Weimar zurückgekehrt und sollte erst im April 1790 wieder nach Jena kommen.
Eigentlich war ich in heiterer, erholter Stimmung, die mir die nötige Energie und Ausdauer für meine weitere Arbeit brachte. Noch dazu hatte ich gemeinsam mit meinen Freundinnen und Karoline von Dacheröden in Bad Lauchstädt darüber simuliert, dass später vielleicht eine Berufung zur Universität nach Mainz möglich werden könnte.
Sollte der durch Krankheit behinderte Kurfürst und Erzbischof in Mainz das Zeitliche segnen, würde sein rechtmäßiger Nachfolger, der Erfurter Vikar und Statthalter Reichsfreiherr Karl Theodor Anton Maria von Dalberg, dessen Amt übernehmen.
Der Koadjutor Dalberg war mit der Familie von Dacheröden verwandt und ein stiller Bewunderer meiner Werke, der meinen beruflichen Werdegang mit großem Interesse verfolgte, vor allem auch deswegen, weil sein Bruder der Intendant des Mannheimer Theaters war.
Eine Berufung nach Mainz könnte mir die finanziellen Sicherheiten bringen, die ich für meine Heirat mir Lotte so dringend brauchte. So erschienen mir meine Zukunftsaussichten wieder in hellerem Licht als zuvor.
Von dieser Hoffnung erfüllt, würde ich den langen Winter einigermaßen überstehen können, denn es war vielleicht eine Möglichkeit, die mich irgendwann auf ewig mit Lotte und Karoline zusammenführen würde. Bis dahin blieben mir nur meine schönen Erinnerungen und die Briefe, mit denen wir unsere Seelen verbinden konnten.
Wie sollte es mir gelingen, diesem traurigen Kreislauf zwischen Auditorium und dem Griesbachschen Hause zu entrinnen? Die tiefe Sehnsucht schmerzte in mir, und ich fragte mich immer wieder, warum wir so lange getrennt sein mussten. Wir versuchten natürlich alles, um die Zeit unserer Trennung ein wenig abzukürzen. Karoline und Lotte wollten den Winter in Weimar verbringen und hatten geplant, mich anlässlich dieser Reise einen Tag in Jena zu besuchen. Sie wollten zum ersten Male ohne Begleitung einer Anstandsperson mit in meine Wohnung kommen, auch wenn es die Schicklichkeit verbot.
Nur den „Lorbeerkranz“ mussten wir uns vom Halse schaffen. Wie dieses Problem bewältigt werden konnte, war noch zu überdenken. Die Übernachtung war in einem Gasthaus geplant und obwohl es nur ein einziger Tag sein sollte, an dem ich sie sehen durfte, freute ich mich schon jetzt auf jede Stunde unseres Zusammenseins.
Karoline von Wolzogen. 1808. Gemälde von Carl von Ambère.
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Ich stellte mir ihre lieben Gesichter immer wieder vor. Die Gedanken daran waren die positiven Schwingungen meiner Gegenwart. Ich wollte an das gute Schicksal glauben, an die heilige Gewalt im Himmel, die uns auf liebenden Armen sanft durch die Zeit tragen würde. Wie froh wäre ich erst, wenn ich vor der Chère Mère unsere Liebe nicht mehr verheimlichen musste und offiziell um Lottes Hand anhalten könnte!
Lotte gab mir Anfang November zu verstehen, dass der Zeitpunkt dazu jetzt günstig sei und sie nichts mehr dagegen hätte. Ihre Mutter würde zwar die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, doch was sollte sie an unseren Gefühlen ändern?
Sie war ins Schloss gezogen, um Prinzessinnen zu bewachen, und nun würde sie erfahren, dass sie besser ihre eigene Tochter hätte bewachen sollen. Sicher würde sie jammern, doch mein schriftlicher Antrag an sie war noch nicht abgeschickt und wurde von Karoline aufgehalten, die befürchtete, ihre Mutter könnte gekränkt darüber sein.
Zwischenzeitlich schrieb ich mit großer Freude an meiner
Universalhistorischen Übersicht, von der ich mir anfangs nur wenig versprochen hatte. Noch während der Arbeit wurde mir bewusst, dass es sicher in ganz Deutschland keinen zweiten Menschen gab, der darüber hätte schreiben können, weil mir die genauen historischen und politischen Hintergründe bestens bekannt waren.
Als Nächstes schrieb ich dem Koadjutor von Dalberg nach Erfurt, um ihm meinen Wunsch nahe zu bringen, in eine bessere Umgebung versetzt zu werden, wo ich finanziell unabhängiger wäre, als hier und mich wieder mehr meiner geistigen Arbeit widmen könnte.
Charlotte von Kalb meldete sich in diesen Tagen und teilte mir mit, dass sie ihre zuvor gefassten Scheidungspläne revidiert hätte und nun doch bei ihrem Mann bleiben würde. Wieder erschien sie mir inkonsequent und nicht fähig, jemals glücklich zu werden. Sie bat mich um die Rückgabe ihrer Briefe, die ich immer noch verwahrte, angeblich, um diese wieder einmal durchlesen zu können.
Doch ihre Neugierde in Bezug auf meine Person ließ mich vermuten, dass sie etwas über mich erfahren hatte, was sie nicht wissen sollte. Aus ihrem Schreibstil klang eine gewisse Manie, die sie hemmungslos zur Rache verleiten könnte und das Wohlergehen anderer nicht so wichtig zu nehmen. Von der Liebe zum Hass ist der Weg bisweilen nicht sehr weit.
Je länger mein Abschied von Rudolstadt zurücklag, desto schwerer fiel mir die Trennung – und diese besonders von Karoline von Beulwitz. Wenn ich an sie und Lotte schrieb, so meinte ich vor allen Dingen sie. Wie mein Herz für sie glühte!
Karoline war mir vom Alter her näher, so auch im Gefühl und in den Gedanken. Deshalb hatte sie mehr Empfindungen in mir wachgerufen, als Lotte, aber ich wünschte mir um nichts auf der Welt, dass Lotte anders wäre, als sie es war. Denn ihre Seele musste sich in meiner Liebe entfalten – m e i n Geschöpf sollte sie werden und für mich aufblühen!
Frei und sicher sollte sich meine Seele unter meinen Engeln bewegen können und immer liebevoller von der Einen zur Anderen zurückkehren, wie ein Lichtstrahl, der verschieden widerscheint aus verschiedenen Spiegeln.
Immer aufs Neue teilte ich Karoline und Lotte meine Gefühle und meine Zukunftspläne mit, doch ich war ein Narr, der nicht bemerkte, wie sehr ich Lotte durch meine Offenheit verletzte.
Ich hatte mich aus dem Jenaer Leben zurückgezogen. Der „Lorbeerkranz“ schien mich aus Sorge verheiraten zu wollen. Noch war mir die Auserwählte gänzlich unbekannt, doch war ich sehr amüsiert über ihr Vorhaben. Doch was der Himmel mir auch Schönes über den Weg schicken mochte, ich würde nur Karoline und Lotte im Hintergrundbild meiner Zukunft sehen können. Mein ganzes Denken und all mein Verlangen umschlangen die Gestalt Karolines, und wenn ich gekonnt hätte, wäre ich nur in Gestalt meines Herzens zu meinem Engel geflogen. Meinem zweiten, nämlich Lotte, schrieb ich ebenfalls von den drei Wochen, die uns noch voneinander trennten.
Wie leid war ich es jetzt schon, bloß von Briefen leben zu müssen und die beiden nicht ständig um mich haben zu können. Welches böse Schicksal hatte mich hier in Jena gebunden?!
So viel hatte ich dadurch verloren und nichts gewonnen! Meine ganze Hoffnung hatte ich nun auf den Koadjutor gesetzt. Wenn dieser sich bereitwillig für mich einsetzen würde, könnte ich bei nächster Gelegenheit meine Professur in Jena an den Nagel hängen.
Hier an der Universität gab es zu alledem die ersten Unstimmigkeiten. Weil ich mich auf dem Titel meiner gedruckten, ersten Vorlesung einen Professor der Geschichte genannt hatte, beklagte sich mein Kollege Professor Heinrich, ich sei ihm damit zu nahe getreten, weil ihm diese Professur namentlich übertragen sei. Tatsächlich war ich, wie ich erfuhr, nicht der Geschichtsprofessor, sondern ein Professor der Philosophie. Es ging so weit, dass ein Diener der Akademie den Titel meiner Rede von dem Buchladen, wo sie aushing, abreißen musste. Das wollte ich mir auf gar keinen Fall gefallen lassen und versuchte nun zu erforschen, wer den Auftrag dazu gegeben hatte. Soviel Ärger musste ich hinnehmen, ohne Zweck und Nutzen! Ich tat einen kräftigen Hilfeschrei in Richtung Rudolstadt. Wir wollten gemeinsam darüber nachdenken, wie wir die Zeit unserer Trennung verkürzen könnten. Die Vorfälle hier in Jena betrübten mich und zeigten mir deutlich, dass ich hier keine Freunde hatte.
Lange hatte ich Körner nicht geschrieben und nichts von ihm gehört, einerseits wegen unserer alten Meinungsverschiedenheit, andererseits weil ich so viel Arbeit hatte. Nun schrieb ich ihm, doch mein Herz legte ich nicht in diese Zeilen.
Der Koadjutor von Dalberg hatte mir geantwortet und mir in seinem Brief dazu geraten, mich direkt und ohne Empfehlung an den Mainzer Kurfürsten zu wenden, weil diesem Männer am Liebsten wären, die sich vertrauensvoll und ohne Umschweife an ihn persönlich wandten.
Von dieser Antwort war ich hin- und hergerissen. Was sollte ich nun tun? Würde es wirklich nützen, dem Kurfürsten selbst zu schreiben oder wäre es ein Fehler? Wieder schien sich etwas Unerwartetes in unseren Kreis zu drängen und uns an unserer Glückseligkeit zu hindern.
Ich trat auf der Stelle und wusste nicht, was werden sollte. In meiner Not schrieb ich an Karoline von Dacheröden und fragte auch Körner und Huber um Rat in dieser Angelegenheit.
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