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Piccolomini und Wallensteins Lager


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Wallensteins Lager. Schnorr von Carolsfeld. Quelle: Wikipedia
 



Ende Juli drängte Goethe erneut auf Beendigung des Wallensteins, da der Rohbau des neuen Theaters schon ziemlich weit fortgeschritten war. Doch der ständige Baulärm ließ mich oftmals keine vernünftigen Gedanken finden. Er machte mich krank, so dass die Krämpfe verstärkt wiederkehrten, was wiederum zu Schlaflosigkeit und niedergedrückter Stimmung führte. Das alles brachte mich ans Ende meiner Geisteskraft und verdarb mir die Stimmung zur Arbeit gänzlich. Schon bald zeichnete sich ab, dass wir unsere Stadtwohnung behalten mussten, da die Idee, das Gartenhaus winterfest zu machen, meinen finanziellen Rahmen sprengte.
 
Endlich, Ende August, konnte ich Goethe die letzten beiden Akte der Piccolomini vorlesen, und obwohl er für das Pathetische eigentlich wenig empfänglich war, folgte er meinem Vortrag mit bewegter Miene. Es war eine Beruhigung für mich, ihn so zufrieden zu sehen, denn seine Anerkennung meiner Arbeit war die schönste Freude für mich.
 
Da Goethe von seinem Plan, mit dem Wallenstein den Weimarer Theaterneubau einzuweihen, nicht abzubringen war, fuhr ich im September für einige Tage zu ihm nach Weimar, um mir den noch im Umbau befindlichen Theatersaal anzusehen.
 
Vor ihm und Meyer, der in Goethes Hause wohnte, trug ich mein gesamtes, bisher fertiggestelltes Werk vor. Die beiden hielten mich an, das Stück bühnengerechter zu gestalten, und ich befolgte Goethes Rat schließlich nach verschiedenen Gesprächen. So beschloss ich, es in zwei Stücke zu trennen, wobei der Prolog ein für sich stehendes Ganzes bildete, der im nächsten Almanach erscheinen sollte.
 
Einige Figuren waren noch in Wallensteins Lager hinzuzufügen oder weiterzuentwickeln, so auch der Kapuziner, dessen zeitgemäße Charakterdarstellung in diesem Stück nicht fehlen durfte. Goethe schickte mir hierzu eine Schrift des Abraham a Sancta Clara, die mir Anschauungsmaterial für die Kapuzinerpredigt lieferte.
 
Das Schauspiel Die Piccolomini sollte in 5 Akten dargestellt werden, wobei das Szenenbild nie geändert werden musste. Wallenstein selbst erschien als Knotenpunkt für die eigentliche Tragödie nur einmal im zweiten Akt. Als Anknüpfung daran, sollte Wallensteins Abfall und Tod folgen, ebenfalls in 5 Aufzügen.
 
Da ich erst am 8. September die Arbeit am Wallenstein wieder aufnehmen konnte, die Neueröffnung des Theaters kurz bevorstand und mir Goethe keine Ruhe ließ, begann eine fast mechanische Hetzerei, die meine ganze Konzentration forderte.
 
Das bereits fertige Produkt wanderte über die Hände der Botenfrauen oder mit Sonderpost sofort weiter an die Schauspieler, denn die Zeit war überaus knapp bemessen und ließ Änderungen nicht mehr zu. 
 
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Botenfrau Jena. Quelle: Könnecke 1905
 



Meine Lust und mein Humor verließ mich dabei nicht, die baldige Inszenierung immer vor Augen. Am 4. Oktober konnte Goethe den Prolog in Händen halten, am 8. schließlich war auch die Kapuzinerpredigt bei ihm in Weimar. Goethe probte fieberhaft mit den Schauspielern, machte meine Angelegenheit zu der seinigen und konnte schließlich den Wiedereröffnungstermin des Theaters festlegen.
 
Nach einer letzten Hauptprobe am 11. Oktober zu der Lotte und ich eigens nach Weimar reisten und bei der auch Karoline und Wilhelm von Wolzogen zugegen waren, wurde Wallensteins Lager am 12. Oktober 1798 in Weimar uraufgeführt. Die Schauspieler rezitierten die Reime flüssig und gut und machten meinem Werk alle Ehre, zumal der dramatische Charakter des Stückes wie ein Funke auf das Publikum übersprang, es in eine höhere Stimmung versetzte und die Neugier auf dessen Fortsetzung wach hielt.
 
Von diesen Eindrücken noch glücklich beseelt, kehrten wir am 14. Oktober in der Früh in unseren Garten zurück. Bis Ende Oktober genossen wir hier die letzten Sonnenstrahlen, und ich arbeitete unermüdlich am Piccolomini. In neun Wochen sollte das Gesamtwerk fertig sein, und ich hatte keine Vorstellung davon, wie ich dies bewerkstelligen sollte.
 
Am 6. November 1798 hieß es Abschied nehmen von der besinnlichen Gartenzeit, und wir zogen wieder in unsere Stadtwohnung. Für die Familie hatte ich nur noch wenig Zeit, und ich war froh, dass sich Lotte so sehr zurücknahm, um mir die nötige Freiheit für meine Arbeit zu lassen. Sie schien verändert, war gemütlicher und ruhiger geworden und hatte auch an Pfunden zugelegt, was alte Bekannte oft belächelten. Ihr Glück waren die Knaben, und sie hatte trotz der zwei Kindermädchen alle Hände voll zu tun, um bei Keilereien der beiden Kerlchen Frieden zu stiften.
 
Bereits Ende November kam es zu einem starken Wintereinbruch, der Thüringen in eine dicke Schneedecke hüllte, an der die Kinder ihre reinste Freude hatten. Im Gegensatz zu Ihnen freute ich mich nicht über die weiße Pracht, denn das nasskalte Wetter brachte mir eine ungünstige Zeit, in der ich nur jede zweite Nacht schlafen konnte, weil mich Nervenschmerzen plagten. Es gelang mir nur durch allergrößte Willenskraft dagegen anzukämpfen, um nicht ganz und gar pausieren zu müssen.
 
Bei der theatergerechten Bearbeitung des Prologs hatte ich einige Ideen für die Weiterführung des Stückes entwickelt, doch je mehr ich mit der Umsetzung des Textes beschäftigt war, umso deutlicher zeigte sich, dass der poetische Sinn durch die mundgerechte und gekürzte Theatersprache abstumpfte. Ich strich und veränderte und bemerkte verdrossen, wie mein Werk in sich zusammenschrumpfte.
 
Da sich meine Natur nur ungern mit dem Thema Astrologie beschäftigte, weil ich keine ernsthafte Wissenschaft darin erkennen konnte, ließ ich mich schließlich von Goethe dahingehend überzeugen, dass der Glaube an die Sterne Grundlage der menschlichen Natur sei.
 
Ich versuchte also, diese bedeutungsvolle Ansicht im weiteren Verlauf des Stückes zu berücksichtigen. Der Abfall Wallensteins wurde beschlossen, der das inhaltliche Motiv festlegte, und es gelang mir, nach erfolgreicher Überwindung verschiedenster Hürden und mit Hilfe von drei Abschreibern, Die Piccolomini am 24. Dezember 1798 nach einem fürchterlich aufreibenden Endspurt zu beenden.
 
Unterdessen war ich mit verschiedenen Theaterdirektionen in Verhandlungen getreten und schickte Iffland mein fertiges Werk noch am selben Tag, der mittlerweile das Theater in Berlin leitete und den Wallenstein dort auf die Bühne bringen wollte.
 
Danach erst informierte ich Goethe über den gelungenen Abschluss und über den arbeitsreichen Heiligen Abend, den ich so noch nie verbracht hatte. Nun konnte ich Weihnachten im Kreise meiner Familie feiern und mit den Kindern die vielen Geschenke auspacken, die uns von der Schwiegermama geschickt worden waren. Zum ersten Male seit langem fühlte ich in mir eine tiefe Zufriedenheit, denn ich glaubte nach harter Arbeit eine Etappe meines Zieles erreicht zu haben.
 
Nun aber bedrängte mich Goethe, der aufgrund seines Amtes die Rollen für das Theater in Weimar forderte, um endlich mit den Vorbereitungen und Proben für die Aufführung beginnen zu können. Als ich am 29. Dezember meiner Familie die gekürzte Theaterfassung vorlas, war nach dem dritten Akt bereits die dritte Stunde verstrichen, und ich stellte entsetzt fest, dass weitere Streichungen unumgänglich waren. Obwohl ich noch etwa 400 Verse verwarf, dauerte die Spielzeit immer noch vier Stunden. Sofort informierte ich Iffland über die vorgenommene Kürzung und schickte meinen Schwager, der am Vortragsabend mit Karoline zugegen war, mit der Rolle der „Gräfin Terzky“ zu Goethe. Am 31. Januar 1798 bekam er den ganzen Rest, mit allen meinen Streichungen. Da ich manchmal selbst an der theatralischen Tauglichkeit des Werkes zweifelte, legte ich meine Arbeit in der Hoffnung in Goethes Hände, dass sie positiv auf ihn wirken würde.
 
Wie jedes Jahr seit dem Beginn meiner Erkrankung ließ ich zu Jahresbeginn einen Aderlass an mir vornehmen, der alle Giftstoffe aus mir hinaus fließen lassen sollte und der Bluterneuerung und Krankheitsvorbeugung diente. Anschließend, am 4. Januar 1799, fuhr ich in Begleitung meiner Familie nach Weimar, um gemeinsam mit Goethe alle Vorbereitungen für die Aufführung treffen zu können.
 
Da Lotte es für unschicklich hielt, neben Christiane Vulpius im Hause Goethes zu wohnen, hatte er uns eine bequeme Logis im Schloss mit allen nötigen Möbeln besorgt und hielt sich nun oft bei uns auf, wo er trotz gewaltiger Tabakrauchwolken in meinem Zimmer, auch nach schlecht durchschlafener Nacht seine gute Laune nicht verlor.
 
Weil das Stück am 30. Januar zum Geburtstag der Herzogin uraufgeführt werden sollte, standen wir und die Schauspieler unter hohem Zeitdruck. Nur zehn Tage blieben uns für die Leseproben und letzte Schwierigkeiten mit dem ungewöhnlichen Versmaß wurden besprochen und beseitigt. Iffland hatte sich aus Berlin gemeldet und schrieb mit Zufriedenheit über das Schauspiel, was mir Mut und Zuversicht für die bevorstehende Aufführung machte.
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Porträt Wallenstein von Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld, 1823. Quelle: Wikipedia
 



Über Cotta war für die Ostermesse 1799 die Buchausgabe des Dramas angekündigt worden, doch nun hielt ich den Termin für verfrüht, da ich auf weitere Bühnenverträge der Theater in Frankfurt, Dresden und Leipzig hoffte. Sogar mit dem Wiener Theaterdirektor Kotzebue hatte ich Kontakt aufgenommen, doch die Zensur war mir aufgrund der politischen Lage nicht gnädig gestimmt. Obwohl Cotta einwilligte, mit dem Druck bis Neujahr 1800 zu warten, blieb Berlin vorerst der einzige Ort, an dem Die Piccolomini aufgeführt wurde. Auch Iffland hielt die Inszenierung von Wallensteins Lager für bedenklich und stellte es bis zum Jahre 1803 zurück, wo es zu guter Letzt doch noch auf die Berliner Bühne kam. Das Leipziger Theater hatte die Stücke angefordert, doch zur Aufführung kam es erst im Oktober 1800.
 
Währenddessen schrieb mir die Gräfin Schimmelmann aus Kopenhagen, dass man plane, Wallensteins Lager in diesen Tagen in ihrem Hause aufzuführen, und ich war entsetzt über die Indiskretion, denn irgendjemand musste mein Stück kopiert und nach Kopenhagen geschickt haben. Goethe ermahnte daraufhin alle mit der Inszenierung beschäftigten Personen mit Nachruck, dass die Geheimhaltung in dieser Angelegenheit gewahrt werden müsse und stellte das unerlaubte Weiterreichen eines Manuskriptes unter Strafe.
 
Goethe und Meyer hatten inzwischen die nötigen Kostüme und Dekorationen besorgt, und ich wollte weiter an dem dritten Teil des Stückes arbeiten, weil nach der überleitenden Aufführung der Piccolomini eine rasche Fortsetzung vonnöten war. Ich hatte mir sehr gewünscht, Schröder aus Hamburg in der Hauptrolle des Wallensteins zu sehen, doch dann hatte er, entgegen seiner anfänglichen Zusage, wider Erwarten abgelehnt. Nun spielte Johann Jakob Graff die Hauptrolle. 
 
Am Tage der Aufführung füllte sich das Theater schon sehr früh, denn viele waren aus Jena angereist, um das Schauspiel auf der Bühne zu sehen. Die anfängliche Unsicherheit der Schauspieler besserte sich mit der zweiten Inszenierung am 2. Februar 1799 und das Stück fand zu meiner großen Freude allgemeinen Beifall.
 
Der Herzog hatte sich bei Goethe über den von Graff teils unverständlich deklamierten Monolog beschwert, der sich beim zweiten Vortrag des Stückes wesentlich mehr bemühte und seinen Part vortrefflich absolvierte.
 
Zu den mich besonders berührenden Nachklängen gehörte auch ein Brief von Charlotte von Kalb, und ich hoffte, mit diesem Werk und mit meiner schöpferischen Entwicklung ihren Hoffnungen von einst gerecht geworden zu sein.
 

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