Das Weimarer Theater war wegen der ziemlich begrenzten Anzahl seines Stammpublikums auf ständig wechselnde Stücke angewiesen, um das Interesse aufrecht zu erhalten. Die Berliner Schauspielerin Friederike Unzelmann gastierte seit dem 19. September in der Stadt und betrat als Maria Stuart erstmals zwei Tage später die Weimarer Bühne.
Schon seit ein paar Jahren hegte sie den Wunsch vor meinen und Goethes Augen aufzutreten und sich durch unsere Kritik weiter zu entwickeln. Im Mai hatte sie sich deswegen an mich gewandt, und auch von August Wilhelm Schlegel wurde ihr Auftritt in Weimar unterstützt.
Madame Unzelmanns schauspielerische Qualitäten und die Schule Ifflands zeigten sich vor allem in der Zartheit, wie sie die Rolle spielte und in ihrer Deklamation, die schön und sinnvoll war, wenn ich mir auch noch etwas mehr Schwung und einen tragischeren Stil gewünscht hätte. Anfang Oktober reiste sie zurück nach Berlin und Weimar musste zur theatralischen Hausmannskost zurückkehren.
Da meine Tragödie beendet war, nahm ich die alte Arbeit wieder auf, die ich vor unserer Reise begonnen hatte, nämlich die des Warbecks, die Geschichte eines Betrügers des 15. Jahrhunderts, der sich für den im Tower getöteten Herzog von York ausgegeben hatte.
Doch der Stoff war schwer zu behandeln und obgleich mein Interesse daran wuchs, häuften sich die Schwierigkeiten bei der Umsetzung.
Nach einer Weile stellte ich die Arbeit daran zurück, weil die dramatische Richtung nicht die war, die ich mir im Moment gewünscht hatte.
Der Erfolg meiner Arbeiten verbreitete sich im ganzen Lande, und ich erhoffte mir im geschäftlichen Umgange mit Cotta eine deutliche Preissteigerung für meine Werke. Da ich aufgrund meiner angeschlagenen Gesundheit Muße brauchte, um meine Stücke zu vollenden, konnte ich in meiner Lage nur ein Werk pro Jahr liefern, dessen Wert ich zu verbessern suchte, wenn ich es höher taxierte.
So hielt ich den Preis von 300 Dukaten für ein neues, großes Originalstück durchaus für angemessen, und ich wusste, dass Goethes Verträge ähnlich gestaltet waren.
Anfang Oktober war ich zu keiner Arbeit fähig, weil mich ein Katarrh ans Bett band, und ich nichts Vernünftiges schreiben konnte.
Da ich immer noch nach einem geeigneten Sujet suchte und zwischen Warbeck und dem Trauerspiel Die feindlichen Brüder schwankte, entschloss ich mich Ende Oktober dazu, Gozzis märchenhafte Komödie „Turandot“ auf die Bühne zu bringen. Eine eigene Komödie zu schreiben lag nicht in meiner Natur, die dafür zu ernst gestimmt war, und ich wusste, dass etwas was keine Tiefe hatte, mich nicht lange anziehen konnte.
Also fertigte ich Übersetzungen an, denn ich wollte alle Gebiete des Dramas durchlaufen, um das für mich geeignetste zu finden. "Turandot" sollte zum Geburtstag der Herzogin in Weimar aufgeführt werden.
Goethe war Mitte November nach einem Jena Aufenthalt nach Weimar zurückgekehrt und hatte im Hinblick auf die langen Wintermonate für Ablenkung gesorgt, in dem er ein Mittwochskränzchen gründete, dessen vertrauter Kreis sich alle vierzehn Tage nach dem Theaterbesuch in seinem Hause traf. Der feste Kreis der Teilnehmer bestand aus vierzehn Personen, die untereinander sieben Paare bildeten. Es wurde abgestimmt, welche Gäste man zusätzlich einlud. Auch der Herzog und dessen Kinder nahmen gelegentlich an den Abenden teil.
Da Goethes Wesen pedantisch und steif war, bestand er natürlich auf einer gewissen feierlichen Förmlichkeit, denn ohne seine Erlaubnis durfte niemand essen oder trinken, noch aufstehen oder sich hinsetzen, geschweige ein Gesprächsthema wählen, das ihm nicht genehm war. So gestaltet, blieben diese Gesellschaften natürlich ohne zwanglose Heiterkeit, waren langweilig und von einer schier unerträglichen Schwere.
Anfang Dezember erkrankte unser kleiner Ernst an den Masern, die in Weimar sehr stark grassierten. Sie machten unsere Mittwochstreffen vier Wochen lang nicht möglich. Auch Lotte und Karl litten an einem Hals- und Rachenkatarrh, der ihnen sehr zu schaffen machte.
Bis auf einen kleinen Husten hatte Ernst sich schnell erholt, doch klagten Lotte und Karl zunehmend über Schmerzen in der Brust, die mit starkem Husten verbunden waren, der ihnen nachts den Schlaf raubte. Karl peinigten zu alledem starke Schluckbeschwerden und obwohl er die Masern bereits vor einigen Jahren gehabt hatte, erkrankte er erneut daran.
Nur einen Tag später sah man auch bei Lotte den Ausschlag. Das Fieber entwickelte sich bei ihr mit besonderer Heftigkeit und wurde von unaufhörlichen Krämpfen begleitet. Als noch Durchfälle und Erbrechen hinzukamen, war sie völlig entkräftet und trotz der von Stark verordneten Medizin wollte der krampfhafte Husten nicht weichen.
Bei den Kindern verlief die Krankheit ohne Komplikationen, doch auch Karlinchen klagte nun über Halsschmerzen. Nach fünf Tagen Lazarettleben war ich froh, dass sich alle auf dem Wege der Besserung befanden, und ich konnte den "Turandot" am 27. Dezember 1801 fertig stellen.
Goethe hatte zur Feier des Jahreswechsels in seinem Hause alle Mitglieder des Kränzchens eingeladen, doch ich musste absagen, weil ich plötzlich von einem fieberhaften Anfall und Krämpfen geplagt wurde, die mit Durchfällen einhergingen. Nach nur einem Krankheitstag besserte sich mein Zustand.
Der gesamte Dezember war von Krankheitsnachrichten beschattet worden, denn auch meine Mutter hatte mir am 20. Dezember mitgeteilt, dass sie aufgrund ihrer schlechten Gesundheit von Leonberg nach Stuttgart gezogen sei, und dort bei der Familie Stoll wohnte, die mit unserer Familie durch Patenschaften verbunden war.
Ihr Brief beunruhigte mich, doch die Tatsache, dass sie in ihrer Not nicht alleine war, verringerte meine Sorge.
"Turandot" wurde am 30. Januar 1802 in Weimar mit geringem Erfolg uraufgeführt, weil ich nach Urteil einiger Kritiker dem Geist Gozzis nicht entsprochen hätte.
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