Wachsende Verbindung
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Goethe in the Roman Campagna, 1786/1787. Quelle: Wikipedia
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Goethe besuchte mich in Jena, wenn es seine Zeit erlaubte, und wenn dies nicht möglich war, beschränkten wir uns auf einen intensiven Briefwechsel.
In Weimar und Jena hatte sich unsere wachsende gemeinschaftliche Verbindung schnell herumgesprochen. Alle Welt reagierte erfreut darüber, und auch Lotte war angenehm überrascht über meine neu gewonnenen positiven Eindrücke, die ich nun von Goethe hatte.
So näherten wir uns einander, und die Zeit machte ein Muss aus dieser Nähe, so wie Gegensätze sich anziehen. Wir wurden Seelengefährten, was unsere Geistesentwicklung und poetische Tätigkeit unaufhaltsam steigerte und uns in gemeinschaftlichen Bestrebungen verband.
Bei unserem Wiedersehen in Jena musste ich verwundert feststellen, dass Lotte mir einen veränderten Goldsohn mitgebracht hatte, vor dem nun in der Stube nichts mehr sicher war, da er unaufhaltsam alles untersuchte, was ihm in die Hände kam. Seine Geschicklichkeit beim Laufen hatte er vollendet und hielt damit seine Umgebung unentwegt auf Trab. Ich war erfreut, sein Lachen und seine Fröhlichkeit durchs Haus klingen zu hören und musste zugeben, dass er mein ganzes Glück war.
Lotte hatte sich über Goethes Geschenk, das ihr von Frau von Stein übergeben worden war, sehr gefreut. Der Tisch bekam nun einen Ehrenplatz, wo er auch von unserem Goldkarl als neuer Haltepunkt gerne angenommen wurde. Karl zeigte ein weiches, lenkbares Herz, und wenn er etwas Verbotenes getan hatte, so bedurfte es nur eines Blickes von mir, und er kam gelaufen und küsste mich, um seine Unartigkeit wieder gutzumachen.
Sobald ich morgens aufstand, besuchte er mich, aß mittags mit uns am Tisch und genoss es, abends in unserer Mitte vor dem Schlafengehen zu spielen.
Der kleine Karl war im Januar 1795 geimpft worden, und wir waren beunruhigt. Die Impfung schlug an und am 9. Tag bekam er ziemlich viele Pocken, jedoch nur mäßiges Fieber und trotz des gleichzeitigen Durchbrechens eines Augenzahnes blieb er von Komplikationen verschont. Bald heilten die Blattern ab, und er hüpfte umher, als sei nichts geschehen.
Von Goethe hatte ich erfahren, dass Charlotte von Kalb nach Weimar zurückgekehrt war, nachdem sie längere Zeit in der Abgeschiedenheit Waltershausens gelebt hatte. Ihr Gemütszustand hatte sich verfinstert, und sie war nahe daran sich vollends aufzugeben, da sie auch zu ihren Kindern wenig Bezug fand und sich der Familie fügen musste.
Ein Prozess zwischen dem Herzog Karl August und ihrem Schwager, Johann August Alexander von Kalb, machte ihr und besonders ihrem Mann einen Aufenthalt in Weimar unmöglich.
Deshalb bat sie nun Goethe um Hilfe und erreichte bei ihrem Mann die Erlaubnis, bis 1799 in Weimar bleiben zu dürfen. Aus diesem Grunde versuchte sie nun alte Kontakte wieder aufzunehmen, und ich schrieb ihr einen Brief, in dem ich sie zu uns nach Jena einlud.
Ich berichtete ihr von Karls Fortschritten, und, dass wir einen Umzug planten, weil die schmutzigen, gelben Wände in unserer Logis auf meine Stimmung drückten. So hatten wir vor zu den Griesbachs zu ziehen, in eine der schönsten Wohnungen, die Jena zu bieten hatte.
Hölderlin, der sich seinerzeit gut bei den Kalbs in Waltershausen eingelebt hatte und von Charlotte in den höchsten Tönen gelobt worden war, weil er sich mit Eifer und Hingabe der Erziehung ihres schwierigen Sohnes Fritz gewidmet hatte, war Anfang des Jahres nach Jena gekommen, um bei Professor Fichte Philosophie zu studieren. Aufgrund von Spannungen im Verhältnis zur Familie Kalb war das Dienstverhältnis im Januar von Charlotte von Kalb gelöst worden, und sie hatte ihn mit Geld für ein Vierteljahr abgefunden. Hölderlin versprach sich viel von diesem Wechsel. In dieser Stadt wollte er Gedichte schreiben und sein Romanprojekt „Hyperion“ vollenden und veröffentlichen.
Für
Die Horen hatte ich auf Hölderlins Beiträge gehofft, doch dann verließ er Jena Ende Mai 1795 völlig unerwartet und steuerte für das 6. und 10. Heft lediglich zwei Gedichte bei.
Die neue Beziehung zu Goethe erfreute mich und band mich fester an Thüringen.
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