Solitude - Krankheit und Tod
Für meine Arbeit war mir von meinen Lesern ein unbefriedigender Lohn gezahlt worden. Deshalb hatte ich mich zunächst nur zögerlich in den Bereich der Poesie vorgetastet. Doch allmählich, unter Goethes Ansporn und Lob, mehrten sich meine Arbeiten.
Was anfänglich in epigrammatischer Poesie verfasst worden war – bereits im Jahre 1795 waren achtzehn Epigramme erschienen -, vereinigte sich nun in einer Dichtung aus gegenständlicher Betrachtung und nicht dinglichen Elementen wie eine homogene Verbindung. An größere Werke, wie beispielsweise ein Schauspiel, konnte ich mich wegen der allzu knappen Zeit noch nicht wagen, die ich hauptsächlich für den Musen-Almanach aufwenden wollte.
Das Jahr begann schlecht, als mich am 4. Januar 1796 Cottas Nachricht vom Tod seiner fünfjährigen Tochter Wilhelmine erreichte. Sofort flammten die alten Ängste in mir auf, meinen über alles geliebten Sohn auf diese Weise verlieren zu können.
Ebenfalls Anfang Januar 1796 hatte ich von meinen Eltern einen Brief erhalten, der mich sehr erschreckte. Mein Vater, den ich immer als agilen Menschen mit robuster Gesundheit in Erinnerung hatte, war erkrankt und musste mit heftigen Unterleibsbeschwerden das Bett hüten. Diese besserten sich zwar nach einiger Zeit wieder, kehrten später jedoch umso schlimmer zurück.
Er klagte zunehmend über Krämpfe, die beim Stuhlgang und während des Urinierens unerträglich wurden, so dass der Harnstrahl versiegte und das Wasserlassen nur noch tropfenweise unter den größten Schmerzen möglich war. Die Koliken strahlten bis in den Rücken und in die Beine aus, und der Harndrang trieb ihn unaufhörlich bei Tag und Nacht aus dem Bett.
Wie mir meine Schwester berichtete, reagierte er auf die Umbettung seines Körpers äußerst empfindlich, da er über heftigste Schmerzen im Kreuz, den Hüften und Schenkeln klagte.
Alle Bemühungen der Ärzte blieben erfolglos. Als Ursache vermutete ich die Gicht, doch hatte ein Prostata-Krebs bereits Metastasen in die Knochen gestreut. Mutter, Nanette und Louise wechselten sich in der Pflege ab, völlig aufgerieben von den übelsten Launen des Vaters.
Wegen der anhaltenden Kriegswirren war auf der Solitude ein österreichisches Feldlazarett eingerichtet worden, das rund 1200 Kranke aufgenommen hatte, und deren Nähe wegen der enormen Ansteckungsgefahr von der Bevölkerung gemieden wurde. Deswegen war auch keine Dienstmagd bereit, die Hauswirtschaft meiner Mutter zu übernehmen – auch nicht bei einer zehnfachen Lohnzahlung. Selbst die besten Freunde mieden das Haus.
Anfang März erkrankte Nanette an Typhus, dem gefürchteten Schleimfieber, welches bereits im vergangenen Jahr viele Einwohner hinweggerafft hatte. Obwohl die Leichen allesamt verbrannt worden waren, herrschte noch immer eine enorme Ansteckungsgefahr. Nanette wurde isoliert und in den Räumen des Kavaliershäuschens untergebracht, wo sie Tag und Nacht versorgt wurde und unter ärztlicher Aufsicht stand.
Siebzehn Tage lang dauerte Nanettes Leidenslager, in denen sie jegliche Nahrung verweigerte und zehn Tage lang im Delirium redete. Sie war, wie man mir schrieb, fast immer ohne Bewusstsein.
Erst 18-jährig verstarb Nanette am 23. März 1796, ohne dass mein Vater sie noch einmal hätte sehen können. Noch in der Trauerzeit der Eltern erkrankte meine Schwester Louise, deren Pflege meiner Mutter nun auch die letzten Kräfte nahm.
Die Situation und meine Unfähigkeit, Hilfe zu leisten, schmerzte mich so sehr, dass ich in meiner Verzweiflung an meine Schwester Christophine nach Meiningen schrieb und sie bat, sich um Louise und die Eltern zu kümmern. Ich war bereit, die Reisekosten zu übernehmen, was mir durch eine nochmalige Verlängerung meiner Unterstützung aus Dänemark zu meiner großen Freude möglich gemacht wurde.
Mein Schwager Reinwald reagierte erst einmal ablehnend - aus seiner Sicht mehr als verständlich - zumal Christophine sich einer großen Gefahr aussetzte, wenn sie zur Solitude fuhr. Erst auf mein nochmaliges, flehendes Bitten hin entschloss sie sich zur Reise, denn meine Mutter hatte mir einen wahren Hilferuf aus Schwaben geschickt, in dem sie schrieb, es sei seit zwölf Wochen kein Feuer und Licht gelöscht worden. Sie würden alle zugrunde gehen! Vaters Schmerzensschreie würde man oft noch drei Häuser weiter hören, schrieb meine Schwester.
Nie zuvor hatte ich meine Mutter so erlebt. Sie war immer diejenige gewesen, die nie klagte, die alles hinnahm – auch die Lieblosigkeit und den Starrsinn meines Vaters, der sich seit Jahren von ihr abgewandt hatte, wie sie mir nun erstmals in ihrer Verzweiflung berichtete. Aus jeder Zeile ihres Briefes klang eine tiefe Sehnsucht, die Hoffnung auf einen baldigen Tod, der dem Leiden ein Ende setzen sollte. Nur Gott kannte ihr trauriges Schicksal und das Leid, das sie schon vierzig Jahre lang geduldig ertragen hatte.
Nachdem ich ihr das Reisegeld angewiesen hatte, machte sich Christophine Ende April auf die Reise und fand meine Mutter bei ihrer Ankunft am 10. Mai ebenfalls seit Tagen ans Bett gefesselt vor. Im Kavaliershäuschen lag sie, in derselben Kammer wie ihr Mann, und Louise befand sich ein Stockwerk darüber, dort, wo Nanette vor Wochen gestorben war.
Ich war betrübt, und es tat mir sehr weh, meiner Mutter selbst nicht helfen zu können, denn ich sah es als erste Pflicht an, dies zu tun.
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