Wieland hatte auf mein Bittgesuch geantwortet und erwartete mich bereits am späten Dienstagnachmittag. Er lebte ziemlich isoliert, nur mit seinen Schriften, gemeinsam mit seiner Frau und seinen neun Kindern. Von letzteren wurde ich empfangen, und ich hatte einige Mühe, bei dem Gedränge zu Wieland zu gelangen. Ich war ihm bereits bekannt, denn schon im Jahre 1782 hatte ich ihn über Schwan um eine Beurteilung meiner Räuber ersucht. Wieland war in Weimar ein Mann von großem Einfluss, und ich legte besonderen Wert auf seine Meinung, weil ich mich zu seinen größten Bewunderern zählte.
Damals lobte er mich als einen Mann von seltenem Genie, mit allen Anlagen zu einem großen, dramatischen Dichter, lehnte jedoch meine Räuber ab, weil er sich der alten Bühnentradition verbunden fühlte. Ich hatte den Ehrgeiz, ihn für mich und meine Werke zu gewinnen, denn das würde mir gewisse Vorteile für mein weiteres Vorwärtskommen verschaffen. Der Herzog Karl August machte seine Unterstützung von Wielands Urteil abhängig.
Aus dem Samen unseres ersten Zusammentreffens erwuchs ein Vertrauensverhältnis, das in Zukunft noch reifen sollte.
Obwohl der Altersunterschied mit sechsundzwanzig Jahren beträchtlich war, bestand sofort eine gegenseitige Sympathie. Er gewann bei mir durch seine herzliche, warme Ausstrahlung und betrachtete fast wehmütig meine siebenundzwanzig Jahre und die genügende Zeit, die mir bleiben würde, um meine Ziele zu verwirklichen. Wir wollten gegenseitig positiv auf einander einwirken; er wäre zwar alt, aber nicht unverbesserlich. Seine Familie wollte er mir bei meinem nächsten Besuch vorzustellen, denn er war in Eile, weil er wie jeden Montag in den `Club der Bürgerlichen’ gehen wollte, in welchen er mich am Liebsten gleich eingeführt hätte.
Doch ich war mit Charlotte von Kalb zum Spaziergang verabredet und sagte Wieland zu, dies am nächsten Montag gerne nachholen zu wollen.
Ich war angenehm überrascht und erleichtert, als ich zu Charlotte zurückkehrte. Einige Bekanntschaften hatte ich durch sie bereits gemacht. Der Graf zu Solms-Rödelheim, der sich auf einer Bildungsreise befand, war mir vorgestellt worden. Ich hatte mich sehr angeregt mit ihm unterhalten. Er verkehrte vor allem im Hause des Schriftstellers Ludwig von Knebel und war über diesen mit Wieland und Herder bekannt gemacht worden. Hinzu gesellte sich eine Frau Luise Franziska Sophie von Imhoff, die Gattin des Freiherrn von Imhoff und Schwester der Charlotte Albertine Ernestine von Stein, einer Freundin Goethes.
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