Gohlis
Hier in Leipzig war es Mode geworden, die Sommermonate auf dem Land zu verbringen. Deshalb zog ich mit Huber und den beiden Schwestern bereits Mitte Mai in das Dorf Gohlis. Hier, in einem Bauernhaus, bezog ich ein Dachstübchen mit einer kleinen Schlafkammer, die zwar dürftig eingerichtet, jedoch freundlich und hell war. Meine Freunde waren ganz in der Nähe untergebracht. Der Weg von Leipzig zum Dorf führte durch das Rosental, welches bereits der Dichter Flemming verherrlicht hatte.

Schillerhaus in Leipzig-Gohlis Foto: Gisela Seidel
|
Ich fühlte mich in die paradiesischen Bauerbach-Zeiten zurückversetzt. Morgens zwischen drei und vier Uhr stand ich auf und lief, nur im Schlafrock bekleidet, auf ausgedehnten Spaziergängen durch die Felder.
So, die ersten Sonnenstrahlen genießend, spürte ich Gottes Nähe mit jedem Atemzug. Auf den zwölfjährigen Sohn des Hauswirtes muss ich einen seltsamen Eindruck gemacht haben, als dieser mir mit einer Wasserflasche und einem Glas auf meinem Weg folgen musste. Noch lange redete er über den langen, freundlichen Mann mit den vielen Sommersprossen und den roten Haaren.
Gohliser Schlösschen. Foto: Gisela Seidel
|
Meist saß ich vormittags unter einer großen Linde oder in einer Holunderlaube und schrieb. Oft wurde ich aber auch in ein nicht weit entferntes Rokokoschlösschen eingeladen, wo ich dann mit dem Besitzer im Park oder Salon verweilte.
Unermüdlich konnte ich in dieser Zeit an meinem
Don Carlos weiterarbeiten. An eine Aufführung desselben dachte ich damals nicht. Einige Bekannte aus Leipzig waren uns mittlerweile aufs Land gefolgt, darunter auch der Lustspieldichter Jünger und das Schauspielerehepaar Albrecht, welches ich bereits aus Frankfurt kannte. Huber und Jünger las ich oft morgens die Passagen vor, die ich in der Nacht geschrieben hatte.
Wir verlebten eine schöne Zeit, machten Ausflüge in die nähere Umgebung und trafen uns abends beim Bier zum Kartenspiel oder Kegeln; aber auch manch ernsthaftes Gespräch wurde geführt. Zu den Mitgliedern des Leipziger Theaters entstand ein freundschaftliches Verhältnis und bei mehreren Treffen sprachen wir gemeinsam über das Wesen des Dramas oder die Auffassung und Darstellung tragischer Charaktere. Alle redeten auf mich ein, ich solle meinen
Don Carlos für die Bühne umarbeiten, damit er aufgeführt werden könne.
Wer welche Rolle bekommen sollte wurde schon besprochen, und sie ließen nicht ab, mich zu bitten. Erst, als man mir versicherte, dass das Schauspiel tief in das Leben des deutschen Volkes eindringen würde, gab ich schließlich nach und ging an die Vollendung und Umarbeitung des Stückes. Ich musste es für die Bühne deutlich kürzen und in Prosa umschreiben, wobei der Schluss ganz anders ausfiel, als ursprünglich gedacht.
Es stellte sich mir mit einem Male diese neue Aufgabe, und ich ging mit Feuereifer daran, sie zu erfüllen. Die Fertigstellung gelang mir in kürzester Zeit, und schon bald konnte das Drama zum ersten Male aufgeführt werden, mit so beachtlichem Erfolg, dass bald darauf die größten Bühnen Deutschlands danach verlangten.
Ende Mai gesellte sich der junge Verleger Georg Joachim Göschen zu unserer Runde und teilte mit mir die Stube. Er war drei Jahre jünger als ich und hatte Dank Körners finanzieller Mithilfe den Verlag gegründet, der später zu einem der besten im deutschen Sprachgebiet werden sollte. Göschen stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Er hatte sich ehrgeizig und fleißig hochgearbeitet und neben seiner Arbeit umfassend weitergebildet. Wir verstanden uns sehr gut. Er fühlte sich sofort zu mir hingezogen. Meine Arbeit gefiel ihm und meine menschliche Seite ebenfalls. Er schien über die starken Gegensätze sehr erstaunt zu sein, die sich ihm in meiner Person offenbarten. Meine Sanftheit, meine Geselligkeit und die Harmonie, die er in meiner Gegenwart verspürte, spiegelten sich nicht gerade in meinen Werken wider.
Es verwunderte ihn, wie sehr ich immer wieder an meiner moralischen Vollkommenheit arbeitete und für jede Kritik dankbar war, die man mir entgegenbrachte.
Zum Beispiel hatte mich ein gewisser Moritz, ein späterer Freund Goethes, in einer Berliner Zeitung sehr ironisch rezensiert. Trotzdem wurde dieser von mir in Leipzig voller Hochachtung empfangen, so, dass er mich beim Abschied in die Arme schloss und mir ewige Freundschaft zusicherte.
Es war ein tiefes Bedürfnis nach Harmonie in meinem Herzen, und ich appellierte immer wieder an meine Freunde, alle Kräfte dafür aufzuwenden, jeder auf seinem Gebiet, um zu Menschen zu werden, die die Welt später nur ungern verlieren möchte.
Göschen hatte mittlerweile den ersten Band meiner
Thalia veröffentlicht, und es sollten bis 1791 anstelle der ursprünglich geplanten sechs Bände pro Jahr, lediglich elf weitere folgen.
Der Inhalt war breit gefächert, mit philosophischen, geschichtlichen, literarischen und lyrischen Beiträgen verschiedener Autoren. Da ich dort stets meine neuesten Werke vorstellte, waren nun in der ersten Ausgabe unter anderem Teile meines
Don Carlos erschienen. Von den folgenden Heften wurden zwei erst im Jahre 1786 veröffentlicht, weiter folgte das 4. im Jahre 1787, der 2. Band mit vier weiteren Heften 1788/89 und schließlich 1790/91 mit noch einmal vier Heften.
Weiter