Stuttgart
Über ein halbes Jahr hatte ich nun in Ludwigsburg ausgeharrt, bis mich diese besonderen Umstände dazu brachten, mich für den Rest meines Aufenthaltes in Stuttgart niederzulassen, in der Stadt, die ich am wenigsten von allen liebte.
Nach dem Tod Karl Eugens war ich einige Male dort gewesen. Ich hatte die Karlsschule wieder gesehen, wo man mich feierlich empfangen hatte.
Dort erblickte ich wehmütig mein altes Bett, das immer noch da stand und vorgezeigt wurde, wenn Besucher nach mir fragten. In unserem alten Schulgarten existierten noch die kleinen Kräuterbeete, die ich einst bepflanzen musste, doch nannte man sie nun den „Schiller-Garten“.
Die Vergangenheit übermannte mich, als ich den Speisesaal betrat, und es trieb mir unwillkürlich Tränen in die Augen, als sich die etwa 400 Eleven der Schule von ihren Sitzen erhoben und mich hochleben ließen. Die Zeiten hatten sich geändert, und der Erziehungsstil der Schule war längst nicht mehr so hart gewesen wie in meiner Jugend.
Dannecker Büste. Quelle: Wikipedia
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Zu meinem früheren Freundeskreis der Karlsschule gehörte auch Johann Heinrich Dannecker, der inzwischen Hofbildhauer und Professor an der Karlsschule geworden war.
Er hatte lange Jahre in Rom gelebt und sich zu einem der besten Bildhauer entwickelt. Er begann im Frühjahr 1794 damit, zunächst aus Gips eine Büste von mir zu modellieren, die im Oktober in Marmor von ihm fertiggestellt wurde.
Im Frühjahr schließlich, als die Akademie aufgelöst wurde, ließ der neue Herzog Lehrer wie Schüler kurzerhand vor die Türe setzen. Das Ende der Schule war eine gewisse Genugtuung für mich, doch stimmte ich mit der Meinung der Stuttgarter Bürger überein, die den Verlust beklagten. So furchtbar ich damals den Führungsstil der Schule empfunden hatte, so musste ich ihr doch zugestehen, dass sie viele Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt und somit auch viel Gutes bewirkt hatte.
In Stuttgart hatte ich mit Lotte und meinem Goldsohn ein vor den Stadtmauern liegendes Gartenhaus bezogen, in dessen Umgebung ich unter blühenden Obstbäumen dem nahenden Frühling mit gehobener Stimmung entgegensah.
So dem Leben wiedergegeben, regte sich die alte Idee des
Wallenstein-Dramas in mir. Bereits in Ludwigsburg hatte ich einzelne Prosaszenen aufs Papier gebracht und diese von Hoven vorgetragen.
So blieben die Briefe an den Prinzen von Augustenburg ungeschrieben, da ich erst die Vorarbeiten des neuen Dramas abschließen wollte. Die neue Stuttgarter Umgebung und der Umgang mit ebenfalls musisch begeisterten Menschen wirkte Wunder auf meine Stimmung, die so gesteigert, abgesehen von einem kurzen Rückfall, auch beruhigend auf meine Krankheit wirkte.
Wir hatten unsere Rückreise nach Jena im Monat Mai geplant, doch ich fürchtete mich vor den Unbequemlichkeiten der Reise schon allein deswegen, weil unser Karl wegen des Zahnens, das ziemlich stark einsetzte, sehr unruhig war. Die Rückreise sollte dieses Mal über Würzburg und Meiningen führen, wo wir an drei Tagen bei Christophine und Reinwald zu Gast sein sollten.
Johann Friedrich Freiherr von Cotta (Lithographie, um 1830). Quelle: Wikipedia
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Noch bevor wir die Heimreise antraten, bekam ich Anfang Mai in Stuttgart Besuch von Cotta, und wir sprachen bei einem gemeinsamen Ausflug nach Untertürkheim über Cottas Plan einer politischen Tageszeitung und das Projekt eines großen literarischen Journals, welches mir gedanklich vorschwebte.
Aus dieser Vision entstanden
Die Horen, deren Ausführung Ende Mai in Jena vertraglich festgelegt wurde und zu deren Umsetzung die besten Denker der Nation eingeladen werden sollten. Nicht zuletzt konnte ich mit der Herausgabe dieses Journals meine Zukunft und somit auch die meiner Familie finanziell absichern.
Huber, der ebenfalls Kontakte zu Cotta unterhielt, hatte zwischenzeitlich aus der Schweiz geschrieben, dass er vorhabe aus Kostengründen nach Tübingen zu gehen, was jedoch erst im Jahre 1798 geschah, als er Redakteur der „Allgemeinen Zeitung“ wurde, die Cotta herausgab.
Huber bat mich darum, ihm Kontakte in Tübingen zu vermitteln, doch ich konnte ihm lediglich Jacob Friedrich Abel nennen, der seit 1790 als Professor der Philosophie in Tübingen als Mitherausgeber des „Wirttembergischen Repertoriums“ wirkte und mein früherer Lehrer auf der Karlsschule war.
Da ich Huber helfen wollte, besuchte ich auf einer Reise nach Tübingen gemeinsam mit von Hoven im März 1794 meinen alten Freund Abel. Dieser empfand mich als gereiften Mann, der nach immer größerer Vervollkommnung strebte.
Der Plan Hubers war nicht ohne Risiko, denn man verdächtigte ihn aufgrund der Kontakte zu Forster in eine verschwörerische Tätigkeit mit dem revolutionären Frankreich verwickelt zu sein, was zu seinem Ausscheiden aus dem sächsischen Staatsdienst geführt hatte. Huber entschied sich deshalb dafür, Tübingen vorläufig zu meiden.
Anfang Mai war der Tag der Abreise gekommen und es fiel mir sehr schwer, von meiner Familie Abschied zu nehmen. Doch mit Rücksicht auf Lotte, deren Wohlergehen mir sehr am Herzen lag, konnte ich Pläne, vielleicht in Stuttgart zu bleiben, nicht in Erwägung ziehen.
Schon seit längerem hatte sie arges Heimweh nach ihren altvertrauten Freunden, vor allem nach Charlotte von Stein, die sie mit ganzem Herzen vermisste.
Meine Eltern waren bei guter Gesundheit, als ich sie verließ, was mich ein wenig beruhigte und mir Hoffnung auf ein Wiedersehen gab, da mein Vater sehr große Lust verspürte, mich im nächsten Jahr in Jena zu besuchen. Doch die Bitterkeit des Augenblickes konnte mir niemand nehmen, als wir uns ein letztes Mal mit Tränen in den Augen in den Armen lagen.
Dass ein anderes Schicksal bereits besiegelt war, ahnte ich damals nicht, denn meine Hoffnungen sollten sich nicht erfüllten.
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