schiller5

Enttäuschte Hoffnung

kabale_und_liebe

 Kabale und Liebe. Theaterszene. Stich von J. W. Zinke
 

                                                                                        
Es war Herbst geworden. Das Wetter war trüb, und ich verbrachte die nächsten Tage in unserer Herberge, ohne das Zimmer zu verlassen.
 
Zur Umarbeitung des Fiesko konnte ich mich nicht überwinden, denn das neue Trauerstück Luise Millerin blockierte meine Gedanken. Ich war damit beschäftigt, die Handlung festzulegen und die Personen genau zu skizzieren. Das Stück sollte auf die Mannheimer Bühnenbesetzung zugeschnitten sein. Die Frau des Schauspielers Beck passte vorzüglich in die Rolle der Luise, und ich sah bereits im Geiste, wie Beil den Stadtmusikanten Miller in seiner ganzen Naivität darstellen würde.
 
Die Herbstabende waren lang und machten trübsinnig. Um Kerzen zu sparen, schrieb ich im fahlen Mondlicht, das nur spärlich unser Zimmer erhellte.
 
Streichers Klavier war zwischenzeitlich eingetroffen, und ich genoss es, wenn er abends ein wenig darauf spielte.
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Mannheim 1830. Aquatinta bei Charles de Graimberg, Heidelberg. Quelle: Polygraphicum
 


                                               
Wochen vergingen, und der Fiesko war immer noch nicht umgeschrieben. Wir baten den Wirt um Kredit, denn das Geld ging wieder zur Neige.
 
Der Oktober lag vor uns, dunkel und nass. Mannheim lag eine Stunde von Oggersheim entfernt, und manchmal besuchten wir unsere Bekannten. Nur in der Dämmerung konnte ich mich auf die Straße wagen. Wenn wir abends losgingen, mussten wir in Mannheim übernachten und früh morgens zurück sein. An meiner Umgebung fand ich keinen Gefallen. Das sandige, flache Land konnte im Vergleich mit Stuttgart nur schlecht abschneiden.
 
Im Ort selber wohnten sehr einfache Leute. Nur ein Händler namens Derain hatte eine gewisse Bildung. Unvorsichtigerweise hatte ich einige verworfene Blätter meines Fieskos unbedacht entsorgt. Dies war der Aufmerksamkeit der Wirtsfrau nicht entgangen. Sie lief damit zu Derain, der sie sogleich dem befreundeten Kaufmann Stein in Mannheim zeigte. Stein war Streichers Kontaktadresse in Mannheim.
 
Da Streicher von Steins schöner Tochter sehr angetan war, konnte sie ihm unser Geheimnis entlocken. Unter dem Mantel der tiefsten Verschwiegenheit wurde das Geheimnis nun von dieser Dame an Derain weiter getragen, und meine Tarnung flog auf. Sehr zur Freude Derains, der froh war, nun einen adäquaten Gesprächspartner am Ort gefunden zu haben. Das hatte wiederum für uns zur Folge, dass sich manche Novemberabende zwar in Nebel hüllten, jedoch durch die Unterhaltungen mit Derain voller Abwechslung waren.
 
Manches Mal dachte ich an Stuttgart, an meine zurückliegende Zeit auf der Akademie, an die damals selbst gepflanzten Lilien auf meiner Fensterbank, die immer meine Lieblingsblumen blieben. Ich schrieb viele Briefe an meine Freunde, meine Schwester und an die Familie.
 
Ein Verwirrspiel hatte ich mir ausgedacht. In meiner Korrespondenz benannte ich Städte, an die ich angeblich zu gehen gedachte oder gab falsche Aufenthaltsorte an. Mein momentanes Leben glich ebenfalls einem Verwirrspiel, in dem ich den rechten Weg noch finden musste.
 
Eigentlich konnte ich mir selbst nicht mehr vorstellen, am Mannheimer Theater eine Heimat zu finden. Aber das war auch nicht mein eigentliches Ziel. Außerdem gefiel mir die Stadt Mannheim nicht sonderlich gut.
 
In den ersten Tagen des Novembers 1782 war die Umarbeitung des Fiesko endlich abgeschlossen. Mir war eine Last genommen, als ich hierzu die letzten Zeilen schrieb. Streichers Mutter hatte mittlerweile das restliche Reisegeld geschickt, welches er für seine Fahrt nach Hamburg verwenden sollte. 
 
Guter Dinge begab ich mich nach Mannheim, wo ich Meyer mein Manuskript für Dalberg übergab. Auch er glaubte, dass die Not nun bald für mich beendet sei.
Ich wartete mehr als eine Woche vergeblich auf Dalbergs Antwort und machte mich recht mutlos daran, ihm einen weiteren Brief zu schreiben. In meiner Verzweiflung teilte ich ihm sogar mit, dass ich in Oggersheim unter dem Namen Schmidt logiere, und bat ihn um baldige Entscheidung und Urteil über mein Stück.
 
Noch am selben Abend wurde ich vom Ehepaar Meyer, welches ich besuchte, in völliger Panik und Bestürzung empfangen. Es sei soeben ein Offizier in württembergischer Uniform bei ihnen gewesen. Er habe sich nach mir erkundigt. Sie hätten abgestritten, mich gesehen zu haben und ihm gesagt, sie würden meinen Aufenthaltsort nicht kennen.
 
Ich fühlte meine Ergreifung nahe und sah mich schon im Geiste in der Festung einsitzen. Mitten in unserer Panik läutete die Hausglocke mehrmals eindringlich an der Türe. Wir erschraken und zuckten zusammen. Streicher und mir blieb nichts anderes übrig, als uns im Nebenzimmer hinter einer Tapetentüre zu verbergen.
 
Es war jedoch nur ein Bekannter des Hauses, der zur Türe hereinkam. Er berichtete ebenfalls, dass sich im Caféhaus ein Offizier ausgiebig nach mir erkundigt hätte. Dieser sei erst abgezogen, nachdem ihm erklärt worden sei, ich wäre nach Sachsen abgereist.
 
In Mannheim konnte ich nun nicht mehr bleiben, aber es war für mich genauso gefährlich, nach Oggersheim zurückzukehren. Jeder, der von meinem Aufenthalt wusste und mir Unterschlupf gewährte, war in Gefahr verhaftet zu werden. Ich musste die Stadt unverzüglich verlassen.
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 LUDWIGSHAFEN-OGGERSHEIM, Kupferstich Merian Frankfurt am Main 1600. Quelle: Polygraphicum
 



Ein Mitglied des Theaters, Madame Curioni, rettete mich aus meiner Not und gab uns Asyl. Wir glaubten uns in Sicherheit, als wir in das seinerzeit unbewohnte Palais des Prinzen von Baden einzogen, über welches Madame Curioni die Aufsicht hatte. Bis die Gefahr vorbei war, konnten wir dort bleiben.
 
Wir waren erleichtert und glücklich, die engen Räume des „Viehhofes“ gegen die prächtigen Zimmer des Palais tauschen zu können. Niemand würde uns hier suchen. Streicher war ganz ergriffen von dem Luxus, der uns hier umgab und den wir nun ausgiebig bestaunten. Erst spät in der Nacht legten wir uns schlafen und schliefen so herrlich wie lange nicht mehr.
 
Am nächsten Morgen erfuhren wir von Meyer, dass er aufgrund seiner Erkundigungen beim Sekretär des Ministers erfahren hatte, dass niemand im Auftrage des Württembergischen  Gouvernements geschickt worden sei, und dieser Offizier auch nicht mehr in Mannheim verweilen würde.
 
Erst viel später erfuhr ich durch einen Brief meines Vaters, dass es sich bei jenem Offizier um den akademischen Freund von Koseritz gehandelt hatte, der mich besuchen wollte.
 
Obwohl sich die Gefahr in diesem Falle in Luft aufgelöst hatte, rieten mir Meyer und meine Bekannten, Mannheim, nach der Annahme des Fieskos, so schnell wie möglich zu verlassen und nach Sachsen zu gehen. Hier würde ich keine Ruhe mehr finden und ständig in Angst leben. Ich wollte niemandem zur Last fallen oder gar zur Gefahr werden. Meinen Freund Streicher hatte ich ohnehin schon übermäßig strapaziert. 
 
Ende November erhielt ich von Dalberg wiederum eine Absage. Sie besagte, dass mein Stück auch nach der Umarbeitung für die Bühne nicht tauglich sei und auch nicht honoriert werden könne. Wie ich später erfuhr, hatte selbst Ifflands Einflussnahme nicht bewirken können, dass das Stück aufgeführt oder zumindest etwas für meine Arbeit vergütet wurde.
 
Als Meyer mir diese Nachricht überbrachte, bedauerte ich, nicht schon von Frankfurt aus nach Sachsen gereist zu sein. Aber ich ließ mir meine Enttäuschung nicht anmerken. Mein Stolz verbot es mir, diese Qual zu zeigen.
 
Offensichtlich hielt Dalberg mich in voller Absicht von sich fern, weil ich ein politischer Flüchtling war, und weil er die Gunst des Herzogs Karl Eugens nicht verwirken wollte. Das wurde mir jedoch erst später klar und war kein Trost. Kurz entschlossen und durch die misslichen Umstände genötigt, nahm ich mein abgelehntes Manuskript und verkaufte es an den Verleger Schwan.
 
Streicher hatte ich in den letzten zehn Tagen nur selten gesehen, da er in Mannheim einer Arbeit nachging. Es belastete mich sehr, dass ich die ursprünglichen Pläne meines treuesten Gefährten, nach Hamburg zu gehen, durchkreuzt hatte. Die Reise konnte er nun wegen des eingebüßten Geldes nicht mehr antreten.
 
Unser Wirt hatte uns bereits mehrfach aufgefordert, die offene Schuld für Kost und Logis zu begleichen. Seine Forderung drückte nun so sehr, dass ich gezwungen war, meine Uhr zu verkaufen. Immer noch standen wir in der Kreide. Die letzten Striche auf der Tafel konnten erst gelöscht werden, nachdem ich den Fiesko verkauft hatte. Übrig blieb ein kleines Restgeld, das ich für meine nächste Reise übrig hielt.
 
Ich suchte einen Ausweg und erinnerte mich an das Angebot der Witwe Henriette von Wolzogen, die mir angeboten hatte, auf ihrem Familiengut in Bauerbach bei Meiningen wohnen zu können. Ihre vier Söhne waren mir in lieber Erinnerung, und besonders Wilhelm von Wolzogen, den ich auf der Akademie kennen gelernt hatte, hatte sich als freundschaftlich gesonnener Verehrer meiner Dichtkunst offenbart. Nach reiflicher Überlegung schrieb ich an seine Mutter und kündigte meinen Besuch an.

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Bauerbach bei Meiningen. Quelle: Piana, Volksverlag, Weimar.
 

                                                                               

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