Tod des Vaters
Meine Mutter und meine Schwestern wussten inzwischen, dass es für Vater keine Besserung mehr geben würde. Noch einige Zeit könnte es dauern, aber der Tod war unausweichlich.
Sein gesamter Körper war mittlerweile angeschwollen und voller Ödeme, so dass er zuletzt nur noch auf dem Bauch liegen konnte. Sein seelischer Zustand war ein Kampf zwischen Todesabwehr und Zukunftsvisionen, und in den wenigen schmerzfreien Stunden vor seinem Tod, ließ er sich oft meinen letzten Brief vorlesen, weinte dabei voller Rührung und dankte Gott aus tiefster Seele dafür, dass er ihm einen solchen Sohn gegeben hatte.
Schillers Vater im Alter. Quelle: Theo Piana, Volksverlag Weimar
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Auch zwei Tage vor seinem Tod verlangte mein Vater nach meinem Brief. Er starb schließlich des Morgens am 7. September 1796. Seine letzte Bitte, in seiner Uniform beerdigt zu werden, konnte nicht erfüllt werden, weil sein Körper derart angeschwollen war, dass man ihm diese nicht anziehen konnte. Er wurde in Gerlingen, auf dem Rappenberger Friedhof, neben meiner Schwester Nanette beigesetzt.
Die Nachricht von Vaters Tod hatte mich am 19. September 1796 erreicht, und ich schrieb meiner Familie noch am selben Tag. Mir fehlten die Worte, denn ich fühlte nicht wirklich den schweren Verlust, den wir beweinten. Vater war mir nie wirklich nah gewesen, nie hatte ich seine Liebe empfunden, nur seine militärische Dienstbeflissenheit. Seine Tränen der Rührung über meinen letzten Brief waren mir ein Trost – ja, ich nahm sie an, als niemals ausgesprochene Worte seiner Zuneigung.
Meiner Mutter war eine große Last genommen, konnte sie doch jetzt erst einmal Atem holen, nach der langen schweren Zeit. Doch was sollte ich ihr sagen? Ich wusste, dass Lotte sie nur insoweit akzeptieren konnte, weil sie meine Mutter war. Sie konnte mit dieser einfachen, ungebildeten Frau nichts anfangen. Es waren zwei Welten, die hier aufeinander trafen.
Lotte war zwar äußerst zurückhaltend, doch war ihre höfische Erziehung für alle sichtbar, vor allem dann, wenn sie in herablassender Art ihre Bediensteten maßregelte, die ihr offensichtlich selten etwas recht machen konnten.
Deshalb befürchtete ich nicht nur Auseinandersetzungen mit meiner Mutter, wenn ich diese einlud, bei uns in Jena zu leben, sondern auch Unfrieden im Hause, der mein Harmoniebedürfnis stören würde.
Trotz meiner Befürchtungen machte ich meiner Mutter den Vorschlag eines Zusammenlebens, wies sie jedoch gleich auf die fremde und für sie eigentlich unpassende Umgebung hin.
Die Sorge um meine Mutter war durchaus ehrlich, deshalb ließ ich ihr vierteljährlich 30 Gulden über Cotta zukommen.
Auch der Herzog von Württemberg machte ihr ein Gnadengeschenk in Höhe von 75 Gulden und zahlte später eine Pension von 100 Gulden jährlich. Zu alledem erhielt sie von ihm ein Logis im Leonberger Schloss: zwei schöne Zimmer, eine Kammer und Speisekammer.
Wir Kinder verzichteten auf unseren Erbteil, und Mutter verkaufte im Oktober in einer Auktion alle Dinge und Möbel, die sie nicht mehr benötigte.
Lotte bekam Nanettes Aussteuer, mir packte Mutter Tuch für sechs Hemden in eine Kiste, in der sich ebenfalls Stoffe für die Kinder befanden und zwei paar Strümpfe waren für das Kindermädchen beigelegt. Zum Nachlass des Vaters gehörte auch „Eine Beschreibung vieler Obstgattungen und Sorten, nach der Natur aufgenommen“, die meine Mutter mir auf Wunsch meines Vaters zur Veröffentlichung übersandte. Ich legte sie fort und vergaß sie mit der Zeit. Erst nach Jahren fand ich sie zufällig wieder und konnte mir selber gar nicht verzeihen, den letzten Wunsch meines Vaters vergessen zu haben. Da der späte Versuch, diese Fachlektüre zu veröffentlichen, fehlschlug, blieb Vaters Wunsch letztendlich unerfüllt.
Meine Mutter blieb noch bis zur Erntezeit auf der Solitude, um Gemüse und Kartoffeln zu ernten, dann zog sie zusammen mit Louise nach Leonberg ins Schloss.
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