schiller5

Umzug und Glaubensbekenntnisse



Zwischendurch hatte ich immer wieder Schübe meiner Krankheit zu ertragen, doch Anfang März attackierten mich zusehends größere Schmerzen und Krämpfe, die mit Fieber einhergingen. Mein gesundheitlicher Zustand zwang mich, meine Arbeiten zu unterbrechen.
 
Während dieser Zeit besuchte mich Huber für zwei Tage in Jena, und ich merkte, dass seine Entschlüsse gefasst und unumstößlich waren. Er fuhr nach Dresden, umging es jedoch, dort auf Körner zu treffen.
 
Anfang April bezogen wir eine, in einem größeren Garten gelegene Wohnung außerhalb der Stadt, wo wir unseren eigenen Hausstand mit Küche unterhielten und konnten nun auf die im Kreise unserer Tischgesellschaft eingenommenen Mahlzeiten verzichten, die meiner Gesundheit, wegen einer zunehmender Unverträglichkeit, nicht mehr zumutbar waren.
 
Ich genoss es, rings um mich Felder und über mir den Himmel sehen zu können, denn in den letzten Monaten war ich nur fünf Mal im Freien gewesen. Es war mir, als würde ich zum ersten Mal nach einer Gefangenschaft wieder ans Tageslicht kommen. Doch konnte ich es auch jetzt noch nicht wagen, mich über längere Zeit draußen aufzuhalten, weil das bis Mai anhaltende feuchtkalte Wetter sehr unfreundlich und krankheitsfördernd war.
 
Meine körperlichen Beschwerden wollten nicht nachlassen und nahmen mir die Lust am Denken und Schreiben, so dass ich den Briefwechsel mit Körner erst einmal ruhen lassen musste, und auch Lotte klagte über zunehmende Unpässlichkeiten, für die Professor Stark zunächst keine Erklärung finden konnte.
 
Ende April erhielt ich zu meiner Überraschung einen Brief von Charlotte von Kalb, die sich in Waltershausen bei Meiningen auf ihrem Familiengut aufhielt. Es war der erste Brief seit meiner Verheiratung im Jahre 1790. Unser Verhältnis war zwar höflich, aber distanziert geworden. Charlotte bat mich um Unterstützung bei der Suche eines geeigneten Hauslehrers für ihren Sohn Fritz, die ich ihr natürlich gewähren wollte. Ich freute mich darüber, dass sie in dieser Angelegenheit soviel Vertrauen in mich setzte und wollte diese Sache gerne zu ihrer Zufriedenheit erledigen, allein schon als Beweis meiner Dankbarkeit, die nur mit meinem Leben enden würde.
 
Bereits zu Beginn des Frühjahres hatten Lotte und ich beschlossen, meine Familie und Freunde in Württemberg zu besuchen, wie ich es meiner Mutter beim Abschied versprochen hatte, doch immer wieder hielt uns die Unberechenbarkeit meiner Krankheit davon zurück. Lottes Schwächeanfälle häuften sich trotz eines von Stark durchgeführten Aderlasses.
 
Ende Mai meldeten meine Schwester Christophine und ihr Mann ihren Besuch an, dem ich freudig entgegen sah, besonders, weil meine Schwester Louise ebenfalls von Stuttgart anreisen wollte. Schon vorher hatte ich meinem Schwager nahe gelegt, er solle mir mein finsteres Gesicht während meiner Anfälle verzeihen und darauf gefasst sein, dass diese ganz unverhofft, ohne Vorankündigung, auftreten könnten. Doch dann musste Louise kurzfristig absagen, weil meine Mutter plötzlich erkrankt war; Christophine und Reinwald planten wir unterdessen bei Fräulein Segner unterzubringen, weil unsere Räumlichkeiten zu wenig Platz boten.
 
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Johann Caspar Lavater, Gemälde von Alexander Speisegger, 1785, Gleimhaus Halberstadt. Quelle: Wikisource
 


 
Anfang Juni ging die zweite Zahlung aus Dänemark ein. Zwischendurch hatten wir weiteren Besuchen von Göschen und seiner Frau Jette, die meiner Frau sehr ans Herz gewachsen war und Johann Kaspar Lavater, Pfarrer und philosophisch, theologischer Schriftsteller in Zürich, der sich auf der Durchreise nach Kopenhagen befand. Lavater blieb bewundernd vor dem Bildnis meiner Mutter stehen, welches mir Ludovike Simanowitz zum Geschenk gemacht hatte. Sie war eine Freundin meiner Familie in Schwaben, und ich sah voller Vorfreude dem Tag entgegen, an dem ich ihr für das herrliche Ölgemälde persönlich danken konnte.
 
In jeder freien Minute schrieb ich an meinem Aufsatz Vom Erhabenen, dessen erster Teil im September 1793 im 3. Stück der Neuen Thalia erscheinen sollte.    
 
Es fiel mir schwer, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, weil ständig Leute ins Haus kamen, die mir ihre Aufwartung machen wollten. Dazu gehörte auch Funck, der sich für zwei Monate in Jena aufhielt und Baggesen, der uns mit seiner Frau Sophie einige Male besuchte, bevor er seine Reise fortsetzte.
 
Wir führten grundlegende Gespräche über Gott und die Welt, und mir schien, als erwarte er ein Glaubensbekenntnis von mir, das ich vor ihm ablegen sollte. Die Gespräche hatten zum Ziel, mich mit dem Kopenhagener Illuminatenclub „Phönix“ zu verbinden, für den Baggesen mich als Mitglied gewinnen wollte.
 
Der Erbprinz Friedrich Christian schien sehr an meiner Zugehörigkeit interessiert zu sein und ließ mich bereits mit dem Namen „Enceladus“ auf die Mitgliederliste setzen, da er sich der Kunst des Werbers sehr sicher war. Ich erklärte Baggesen meinen Standpunkt und meine ablehnende Haltung genau wie damals gegenüber Lempp und Bode, deren Anwerbungsversuche ebenfalls erfolglos blieben.


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