Bauerbach und Rudolstadt
Bauerbach. Haus von Henriette von Wolzogen. Quelle: Ansichtkartenmotiv
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Zwei Tage dauerte meine Reise nach Bauerbach. Die Magie des Ortes, in dem ich vor fünf Jahren wie ein Einsiedler gelebte hatte, und der damals einen geradezu paradiesischen Eindruck bei mir hinterließ, war völlig verschwunden. Ich fühlte nichts mehr, kein Platz weckte auch nur einen Funken weher Erinnerung in mir. Zu viele neue Gefühle, Menschen und Situationen lagen zwischen der vergangenen Zeit und der jetzigen – eine ganz neue Epoche des Denkens hatte für mich begonnen.
Wie sehr ich mich verändert hatte war auch Henriette von Wolzogen aufgefallen. Doch obwohl die alte Schuld drückte, wurde ich von ihr herzlichst und in aller Freundschaft empfangen. Lotte, ihre Tochter, trug sich mit dem Gedanken demnächst eine Ehe einzugehen, und ich sollte ihren Bräutigam kennenlernen. Henriettes Sohn Wilhelm war von der Hohen Karlsschule entlassen worden und bereitete sich in Bauerbach auf eine Reise nach Paris vor. Endlich, nach all den Jahren, sahen wir uns wieder, und ich erinnerte mich zurück an meine Zeit auf der Akademie.
Zehn Tage verlebte ich in Bauerbach und reiste zwischendurch nach Meiningen, wo meine Schwester Reinwald den Haushalt führte. Da ich mich über die Eheschließung mit dem viel älteren Mann nicht gerade freuen konnte, kam ich mit gemischten Gefühlen dort an. Ich wurde von beiden sehr herzlich empfangen, aber ich konnte die Gegenwart Reinwalds aufgrund seiner hypochondrischen Art nicht lange ertragen, obwohl er sich sehr um mich bemühte.
An den übrigen Tagen wurde ich einigen recht interessanten Familien vorgestellt. Die Zeit verging im Fluge, und ich fand nicht einmal Gelegenheit, meinen Freund Körner über meine Abwesenheit zu informieren.
Rudolstadt und Schloss Heidecksburg.
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Am 6. Dezember 1787 wurde die Rückreise von Bauerbach nach Weimar zu Pferde gemacht. Wilhelm von Wolzogen gab mir das Geleit. Wir machten einen kleinen Umweg über Rudolstadt, weil er mich der dort lebenden Familie von Lengefeld vorstellen wollte, die mit dem Hause Wolzogen verwandt war.
Es war ein trüber Tag. Die Sonnenstrahlen vermochten nicht durch die Wolkendecke zu dringen. Wir ritten mit lautem Hufschlag die Straße hinunter, tief in unsere Mäntel gehüllt. Die Frauen schauten gespannt aus dem Fenster ihres Hauses und erkannten ihren Vetter Wilhelm nicht sofort. Dieser hatte absichtlich das halbe Gesicht hinter dem Kragen verborgen, und das meine erregte ihre Neugier sofort. Erst als Wilhelm sich zu erkennen gab und um die Erlaubnis bat, mich der Familie vorstellen zu dürfen, löste sich das Rätsel um meine Person.
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