Charlotte(n) in Weimar
Ein neues Jahr lag vor mir, in dem ich meine Studien fortführen wollte, denn die Vergangenheit hatte gezeigt, dass ich vom Dichten alleine nicht leben konnte. Nun galt es, meine gefassten Vorsätze zu verwirklichen und einen soliden und sicheren Broterwerb zu finden.
Friedrich Justin Bertuch (1747–1822), Öl auf Leinwand, 1796. Gemälde von J. F. A. Tischbein. Gleimhaus, Halberstadt. Quelle: Wikimedia
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Seit meiner Rückkehr hatte sich in Weimar nicht viel ereignet, und ich zehrte, wie schon so oft, von meinen Erinnerungen. Im Kreise der Familie von Lengefeld hatte ich in Rudolstadt ein Wohlgefühl empfunden wie lange nicht mehr. An die beiden Schwestern, Charlotte und Karoline, dachte ich in Freundschaft und mit großer Hochachtung.
Wilhelm von Wolzogen hatte sich nur zwei Tage in Weimar aufhalten können. Ich hatte ihn in den Club eingeführt und mit Bode, Wieland und Bertuch bekannt gemacht. Wir statteten der Kammersängerin Mlle. Schröter einen Besuch ab und aßen bei Kalbs zu Mittag.
Johann Joachim Christoph Bode. Quelle: Wikimedia
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Wilhelm war von den Geschwistern Lengefeld ebenso begeistert wie ich - waren sie doch die ersten weiblichen Wesen gewesen, die ihm nach seiner Entlassung aus der Akademie begegnet waren. Nach seinem kurzen Aufenthalt in Weimar reiste er zurück nach Bauerbach, wobei er künftig einen weiteren Besuch in Rudolstadt in Erwägung zog. Auch ich hatte geplant, bald nach Rudolstadt zurückzukehren.
Wilhelms Vorhaben war in mir Auslöser eines plötzlichen Geistesblitzes gewesen, und meine innere Stimme befahl mir ein schnelles Handeln. Sollte sich Wilhelm mir als Konkurrent in den Weg stellen wollen? Beide Frauen waren reizende Geschöpfe, doch da Charlotte die ledige unter ihnen war, spornte mich dies an, ihre Aufmerksamkeit zu erringen.
Charlotte war von anmutiger Gestalt und hatte ein ansprechendes Gesicht, das die Güte ihres Herzens widerspiegelte. Sie strahlte Unschuld und Ehrlichkeit aus und war empfänglich für alles Gute und Schöne im Leben. Bescheidenheit war eine ihrer Tugenden. Sie schätzte die Treue und die familiäre Harmonie, und auch die Talente zum Landschaftszeichnen und zur Dichtkunst zeichneten sie aus. Zu alledem kam sie aus einem guten Hause und stellte in jeder Hinsicht für mich eine wünschenswerte Verbindung dar.
Das alles und ein Wiedersehen auf einem Maskenball in Weimar, festigte meine Absicht, den engeren Kontakt zu ihr zu suchen. Da ich wusste, dass sie sich mittlerweile als Gast im Hause von Luise von Imhoff in Weimar aufhielt, begann ich zwei Wochen später einen Briefwechsel mit ihr, jedoch heimlich, so, dass niemand es bemerken konnte. Ich suchte, wann immer es möglich war, ihre Nähe – wenn auch mit der gehörigen Distanz. Ich sah sie bei der Frau von Stein und in anderen Kreisen, aber nur selten und immer nur für einen kurzen Moment. Die Umstände und der Anstand ließen eine Annäherung nicht zu, so musste ich mich mit einem Blick zufrieden geben und blieb in gebührender Entfernung zu ihr. Doch versuchte ich mich mit anderen Dingen bemerkbar zu machen, wie zum Beispiel mit dem Beschaffen von Büchern, die sie sich wünschte.
Die einzigen Personen, denen ich im regen Gedankenaustausch vieles, wenn auch noch nicht alles offenbaren konnte, waren nach wie vor meine Freunde Körner und Huber. Niemals, so war ich mir sicher, würde es einer Frauenzimmerseele gelingen, die Stelle in meinem Herzen einzunehmen, die meine Freunde innehatten. Körner erklärte ich nach wie vor, dass es noch keine Frau gäbe, für die mein Herz schlagen würde, denn noch war es zu unsicher, den Namen der zweiten Charlotte öffentlich bekannt zu geben.
Meine Freunde rieten mir von meinen Heiratsidee ab, weil sie sich überhaupt nicht vorstellen konnten, mich als Ehemann zu sehen, zumal Körner der einzige Mensch war, der meine desolate finanzielle Situation kannte. Für mich alleine war es bisher nahezu unmöglich gewesen, aus meiner Schuldenfalle herauszukommen. Käme noch eine Frau hinzu, die ich versorgen müsste, wäre dies unverantwortlich gewesen. Wie immer war ich dankbar für eine Kritik, doch konnten die Bedenken meiner Freunde diesmal nicht auf fruchtbaren Boden fallen. In einem Jahr, so stellte ich mir vor, hätte ich mein Leben fest im Griff.
Mein Freund Huber hatte seinen Besuch in Weimar bereits im November angekündigt, und ich wartete voller Ungeduld auf seine Ankunft, die sich jedoch bis zum 9. April 1788 hinauszögerte. Er war neugierig auf Charlotte von Kalb, die er nur aus Briefen kannte und wollte sie endlich kennenlernen. Ich hatte bisher nicht allzu viel über sie geschrieben, was natürlich Platz für mancherlei Spekulationen bot.
Es war im Februar 1788, als Charlotte von Kalb und ihr Gatte eingeladen wurden, gemeinsam mit Bertuch nach Waltershausen zu reisen, um dort beim Präsidenten von Kalb eine Vollmacht zu unterzeichnen. Dort blieben sie über einen Monat, und nach Hubers Ankunft in Weimar fuhr ich mit ihm am 10. April nach Erfurt. Ich hatte mich mit Charlotte von Kalb zu einem Rendezvous in Gotha verabredet und Huber gebeten, später zu folgen.
Sie saß jedoch gerade bei einem großen, steifen Dinner mit zwölf unbekannten Personen, wo sie angeblich nicht loskommen konnte. Ihre Absage ließ eine Absicht erahnen, obwohl sie beteuerte, sie hätte es nicht ändern können.
Unsere Seelen entfernten sich von einander, und der Klang unserer Herzen war verstimmt.
Als Charlotte am 12. April mit ihrem Mann wieder in Weimar eintraf, versuchte ich noch einmal mit ihr in Kontakt zu treten, doch auch da wies sie mich ab. Sie ließ mir ausrichten, sie habe einen krankhaften Anfall. Später erfuhr ich von ihrer angeblichen Schwangerschaft, und, dass man eine Fehlgeburt vermutete, was sich jedoch glücklicherweise nicht bestätigte. Dies blieb vorerst mein letzter Versuch ein Treffen zu arrangieren. Nun sollte sie zu mir kommen!
Obwohl ich genau wusste, dass ein solches Unternehmen für Charlotte unmöglich war, weil es ihr nur Unannehmlichkeiten bereitet hätte, wenn es öffentlich geworden wäre, ließ ich ihr ausrichten, ich könne nicht ausgehen. Doch ich war uneinsichtig und tadelte ihr Benehmen, zumal sie mit einem Male nicht mehr zu unserem Verhältnis stand. Es ist ein Wahn zu meinen, ohne ein konsequentes Abbrechen den Frieden wiederherstellen zu können! Unsere Beziehung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, und in den vergangenen Wintermonaten war sie ganz und gar zersplittert. Zu viele unschöne Worte waren zwischen uns ausgesprochen worden, und es war Zeit auf Distanz zu gehen.
Da Charlotte von Kalb in der Öffentlichkeit stets ein Auge auf mich hatte, setzte ich alles daran, mein Interesse an Charlotte von Lengefeld vor ihr geheim zu halten. Das war nicht einfach, denn es ließ sich bei Hofe nicht vermeiden, dass beide in Verbindung standen, zumal sie einander schon vorher gekannt hatten. Charlotte von Kalb hatte die Familie von Lengefeld bereits im Juni 1787 in Rudolstadt besucht. So kam mir der Umstand ihrer Abwesenheit gerade zur rechten Zeit. Bereits zu Beginn des Monats Mai reiste sie nach Kalbsrieth, um einige Monate dort zu bleiben.
Huber war im April etwas missgestimmt nach Mainz weitergereist, um dort seine Stelle als Legationssekretär anzutreten und schrieb mir erst wieder im Juli.
Anfang April 1788 fand in Mannheim die Aufführung des
Don Carlos in Jamben statt, jedoch ohne Erfolg. Bereits ein Jahr zuvor hatte ich von Dalberg die Theaterfassung zukommen lassen und wartete seitdem auf die Bezahlung.
Deshalb konnte ich auch auf den neuesten Brief Henriette von Wolzogens nur abschlägig antworten. 540 Gulden waren immer noch abzuzahlen, und auch die fünf Prozent Zinsen, die nun fällig wurden, konnte ich nicht begleichen.
Doch das war nicht der einzige Umstand, der mich beunruhigte. Henriette bat mich darum, den Kontakt zu dem Jenaer Arzt Professor Stark herzustellen, denn sie litt an Brustkrebs.
Am 14. April wurde sie von dem berühmten Würzburger Chirurgen Doktor Siebold operiert, doch nur mit vorübergehendem Erfolg. Es sollte das letzte Frühjahr sein, das sie erleben durfte.
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