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Zu Gast bei Goethe in Weimar


frauenplan

Goethes Haus am Frauenplan
 



Inmitten dieses tristen Einerleis erreichte mich eine Nachricht Goethes, der mich für vierzehn Tage in sein Haus nach Weimar einlud.
 
Um meinem einsamen Dasein zu entfliehen, nahm ich Goethes Einladung gerne an, wies ihn jedoch auf meine krankheitsbedingten Eigenheiten hin, die eine Planung des Tagesablaufes nicht möglich machten. Er versprach mir alle möglichen Freiheiten und Bequemlichkeiten, und ich bezog wenig später drei zur Straße hin gelegene Zimmer in seinem Haus.
 
Der gesamte Weimarer Hof war nach Eisenach abgereist, und Goethe hatte sich eigens für mich frei gemacht. Am 14. September 1794 war ich nachmittags zusammen mit Humboldt bei Goethe eingetroffen. Humboldt war begierig Goethes Einladung gefolgt und freute sich darauf, einige Stunden mit ihm verbringen zu dürfen.
 
Das Schicksal hatte den richtigen Zeitpunkt für unsere Verbindung gewählt, und auch die täglichen Gespräche mit Humboldt bewährten sich nun.
 
Die Stunden dieser Tage verbrachte ich meistens zusammen mit Goethe, doch blieb mir die rechte Freude daran versagt, weil ich selten schmerzfrei war. Obwohl ich des Nachts fast immer durchschlafen konnte, was ich dem gänzlich fehlenden Kaffee- und Teegenuss zugute hielt, wurde ich tagsüber mit den übelsten Krämpfen traktiert. Einmal war es so schlimm, dass ich auf dem Weg zu Charlotte von Steins Haus eine Viertelstunde Halt machen musste, um dann umzukehren. Jetzt, wo mein Geist begann, seine moralischen Kräfte zu kennen und zu gebrauchen, drohte die Krankheit meine physischen zu untergraben.
 
Mir war bewusst, dass ich die große Revolution des Geistes in mir nicht mehr würde vollenden können, aber ich wollte alles daran setzen, vorher das Erhaltenswerte aus dem zusammenfallenden Gebäude meines Körpers hervorzubringen.  
 
Die Gespräche mit Goethe waren vielfältig. Wir sprachen über unsere Arbeit, besonders über meinen Aufsatz vom Erhabenen und auch über die Rezension der Gedichte Matthissons. Goethe zeigte mir seine Sammlungen. Wir sprachen über Kunst und Kunsttheorie, über seine naturgeschichtlichen Studien und über die Optik, wobei ich Goethes Totalanschauung als sehr eindrucksvoll empfand.
 
Oft spazierten wir ganz im Gespräch vertieft durch den Park am Stern. So vergingen die Tage. Goethe las mir aus seinen „Elegien“ vor, die zwar schlüpfrig und nicht sehr dezent waren, doch zu den besten Werken gehörten, die er je geschrieben hatte. Von meinem Plan, der Malteser, erzählte ich ihm, worauf er sich veranlasst sah, begierig darauf zu bestehen dieses Werk bis zum Geburtstag der Herzogin vollendet zu sehen.
 
Da das Werk leichter war als der Wallenstein, weckte Goethes Verlangen die Lust der Ausführung in mir. Er bat mich darum, seinen „Egmont“ für das Weimarer Theater zu korrigieren, was ich ihm zusagte.
 
Ich sog alle neuen Eindrücke in mich auf wie ein Schwamm und ließ die Erkenntnisse, die ich daraus gewonnen hatte, noch lange nach meiner Rückkehr in Jena auf mich wirken, wobei mein Herz immer noch in Weimar war.


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