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Arbeit und Schicksal

Ich saß und schwitzte an meinem Drama. Cotta hatte ich es bis frühestens Juni des nächsten Jahres in Aussicht gestellt, und ich dachte, bis Ende Mai damit fertig zu sein. In Folge einer erneut anhaltenden Schlaflosigkeit entschloss ich mich, alles, was ich bereits am Wallenstein in Prosa verfasst hatte, in poetisch-rhythmische Jamben umzuschreiben.
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Durch die widerwillig durchwachten Nachtstunden, in denen mich selbst der Nachtwächter ermahnte, schlafen zu gehen, hatte ich erneut an Zeit verloren und je weiter mich meine Arbeiten führten, desto stärker wurde mir der ungeheure Umfang bewusst.
 
Die Jamben-Dichtung verkürzte zwar einerseits den Ausdruck, belegte jedoch andererseits, durch ihre in gewisser Weise poetisch gemütliche Stimmung, eine größere Fläche, die bei weitem den normalen Rahmen sprengte. Doch verlangte der in das Drama einführende Teil nach einem streckenden Umfang, genauso wie der Kern der fortschreitenden Handlungen einer besonders gesteigerten Stärke bedurfte.
 
Obwohl mir die Rückkehr Goethes, mit dem mich wieder eine intensive Arbeitskorrespondenz verband, Mut für die kommenden Monate machte, verfiel ich immer aufs Neue in depressive Stimmungen, die auch alle meine körperlichen Leiden zu neuem Übel erweckten.
 
Anhaltende choleraähnliche Durchfälle und Erbrechen quälten und schwächten mich, und die Angst vor einer neuen Lungenentzündung wurde in mir wach, als ich im Januar erneut von Halsschmerzen und Fieber geplagt wurde.
 
Ich wurde mir wieder einmal meiner gesundheitlich ausweglosen Situation bewusst, und erhoffte mir insgeheim eine längere beschwerdefreie Phase von zehn Wochen, die mir nötig erschien, um mein Drama fertig stellen zu können.
 
Aufgehellt wurde mein Leid durch einen Brief von Johann Rudolf Zumsteeg, Hofkapellmeister in Stuttgart, der einige meiner Gedichte im Musen-Almanach für das Jahr 1798 in Kompositionen gekleidet hatte. Seine Nachricht, dass der Almanach sensationellen Anklang im Stuttgarter Raume gefunden hätte, bereitete mir große Freude.
 
Wie gerne wäre ich zu Goethe nach Weimar gereist, doch die Angst hinderte mich daran. So wartete ich voller Ungeduld auf Goethes nächsten Besuch, der jedoch erst am 20. März 1798 stattfand. Alleine der Frucht unseres gemeinsamen Umganges hatte ich es zu verdanken, dass ich es schaffte, über mich selbst hinaus zu wachsen.
 
Etwas war in mir, das mich vorantrieb, das mir über diese schweren Stunden hinweg half. Mein Körper verfiel, doch mein Schaffen gab mir Stärke, die größer und größer wurde und mich wie mit Engelsflügeln von einem Tag zum nächsten trug.
 
Niemals wollte ich mit meinem Schicksal hadern, hatte ich doch eine Familie, die ich liebte, einen Seelengefährten, der mich in meiner Arbeit unterstützte und Freunde, die mir in Rat und Tat zur Seite standen, wenn ich ihrer bedurfte. Aber wie wenig kann man sich daran erfreuen, wenn das Wichtigste fehlt: die Gesundheit!? Einen Tag in heiterer, glücklicher Stimmung musste ich für gewöhnlich mit fünf oder sechs Tagen Leid büßen.
 
Ende Januar 1798 unterschrieb ich das Todesurteil für die Horen, da Cotta im letzten Ausgabejahr lediglich seine Kosten durch den Verkauf hatte decken können und es mir an zuverlässigen Mitarbeitern fehlte. Außer zusätzlichen Sorgen und Anfeindungen hatte mir die Zeitschrift nichts gebracht, und ich war froh, mich ihrer entledigen zu können.
 
Obwohl mir meine Gesundheit schon lange keine Vorlesungen mehr gestattete, erhielt ich Mitte März 1798 die Ernennungsurkunde zum ordentlichen Honorarprofessor der Universität Jena – natürlich ohne jegliche entgeltlichen Vorzüge. Zu dieser Ehrenbezeugung, die mir seitens der Höfe entgegengebracht worden war, gesellte sich noch eine weitere. Ich erhielt die bereits im Jahre 1792 von der französischen Nationalversammlung ausgestellte Bürgerrechtsurkunde, die über General Custine, Befehlshaber der französischen Truppen am Oberrhein, nach Straßburg, Rastatt und weiter nach Braunschweig gelangt war. Alle Unterzeichneten dieses Dokumentes waren inzwischen tot, entweder guillotiniert oder durch Selbstmord ums Leben gekommen. 
 
Farbenkreis

Goethes Farbenkreis als Temperamentenrose. Aquarellierte Zeichnung mit Beschriftungen von Friedrich Schiller. 1799
 



Goethe hatte schon vor seiner Abreise den Gedanken ausgesprochen, den „Faust“ weiter bearbeiten zu wollen, doch blieb dies vorerst sein Wunschdenken. Vielmehr vertiefte er sich nun in seine naturwissenschaftlichen Arbeiten über die Farbenlehre, wobei ich ihm zu seiner äußeren Anschauung zusätzlich ein philosophisches, höheres Bewusstsein der Dinge offenbarte. Ob in Methodik oder Theorie, ich versuchte ihm nützlich zu sein und ihn wie eine reflektierende Kraft an sein Ziel zu treiben.  
 
Nachdem im Februar 1798 die Bauarbeiten auf meinem Gartengrundstück begonnen hatten, kaufte Goethe Anfang März ein Gut in Oberroßla und kam endlich am 20. März zu mir nach Jena.
 
Als ich ihm die ersten drei Akte des Wallensteins vortrug, war Goethe erstaunt über Arbeit und Umfang und sichtlich zufrieden mit dem dramaturgischen Aufbau.
 
Er brachte mir Nachrichten aus Weimar, die mich beunruhigten und mich an meine alte Freundin Charlotte von Kalb erinnerten, die ich seit dem Jahre 1796 nicht mehr gesehen hatte. Zu ihren zerrütteten Familienverhältnissen, insbesondere ihrer unglücklichen Ehe, hatte sich eine fortschreitende Augenkrankheit gesellt, die sie nach und nach mit unglückseliger Blindheit schlug. Da auch ihre Vermögensverhältnisse angegriffen waren, und sie zu alledem eine grundlegende materielle Einstellung besaß, verleitete sie dies zu eigenmächtigen, unüberlegten kaufmännischen Unternehmungen.
 
Anfang April zwang mich eine rheumatische Erkrankung erneut zur Bettruhe, und ich bat Lotte darum, die Korrespondenz mit Goethe fortzusetzen, bis ich Ende April wieder einigermaßen, wenn auch fürchterlich schwach, auf den Beinen stand.
 
Goethe hatte zwischenzeitlich seine Arbeit am „Faust“ wieder aufgenommen. Währenddessen spielte Iffland in einem Gastspiel am Weimarer Theater in Goldonis Stück „Die verstellte Kranke“ den Apotheker, und Lotte war am 3. Mai 1798 alleine zur Aufführung nach Weimar gereist.
 
Der Wonnemonat Mai präsentierte sich von seiner schönsten Seite. Im Griesbachschen Garten zeigte sich der Spargel, und die Bäume standen in wunderschöner Blüte. Am 7. Mai zogen wir erneut in unser Gartenhaus und obwohl die Bauarbeiten voranschritten, machte mir der ständige Lärm gewaltig zu schaffen.
 
Ich hatte Cotta meinen Wallenstein bis spätestens Juni versprochen, musste jedoch einsehen, dass dies niemals zu bewerkstelligen war.
 
Auch Goethes Überlegungen waren mir zu Ohren gekommen, der den Schauspieler Schröder aus Hamburg für die Besetzung bereits gedanklich in Szene gesetzt hatte und den Wallenstein als das Höchste pries, was man auf einer deutschen Bühne erleben konnte.
 
Das alles machte die enorme Anspannung und den Zeitdruck, in dem ich mich befand immer unerträglicher. Ich hatte den Eindruck, als würde ich mich in meiner Arbeit nicht von der Stelle bewegen, und sie schien wie ein Meer, das ich austrinken musste, um das Ende sehen zu können. Der Gedanke daran schnürte mir wegen seiner Unendlichkeit die Kehle zu. Ich fühlte mich am Ende meiner Kräfte, und ich war nahe daran alles hinzuwerfen.
 
Goethe, der als Theaterdirektor sein Amt im Sinne hatte, drängte mich immer wieder, meinen Wallenstein lesen zu wollen und ließ keinen Zweifel daran, dass er baldigst auf dessen Fertigstellung hoffte, weil in Weimar in diesem Jahre ein Umbau des Theaters geplant und im Juli durchgeführt werden sollte.
 
Ende Mai blieb Goethe für einige Zeit in Jena und war ganz zuversichtlich, was das Voranschreiten meines Werkes betraf, doch auch die Arbeiten an meinem Musen-Almanach für das nächste Jahr standen dringend an, und ich musste meinen Wallenstein bis August ruhen lassen, obwohl dies gegen meine Neigung geschah, und es mich aus einer der besten Schaffensphasen herausriss.
 
So schwor ich mir insgeheim, nach der Veröffentlichung des Almanachs nur noch eine einzige Fortsetzung erscheinen zu lassen.  


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