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 Erste Zeit der Ehe


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aus: A. von Wyl. Schiller-Gedenkbuch. Stroefers Kunstverlag
 



Lottes Befürchtungen, sie könne mir nicht all’ das geben, was ich brauchte, hatte ihre Freundin Karoline von Dacheröden in Erfurt zu zerstreuen versucht. In trüben Gedanken, die sich bereits Wochen vor unserer Hochzeit zeigten, verfiel Lotte in die krankhafte Vorstellung, dass ich die Heirat irgendwann bereuen könnte, weil ich vielleicht die Falsche gewählt hätte.
 
Mir gegenüber versuchte sie diese in ihr nagenden Zweifel zu verbergen, doch manchmal, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, sah ich den zweifelnden Blick in ihren feuchten Augen. Sicher war es vorgekommen, dass ich ihre Schwester heißer küsste als sie, doch liebte ich meine Frau so, wie sie war, und ich bemühte mich, sie und meine Schwägerin mit der gleichen Zuneigung zu bedenken.
 
Lotte erduldete dies, ohne jemals zu klagen, einerseits weil sie wusste, dass ich nur in Freiheit leben und lieben konnte, andererseits, weil sie auch ihrer Schwester innigst zugetan war und diese nicht kränken wollte.
 
Doch Lotte, die mir völlig ergeben war, wurde mir teurer mit jedem neuen Tag unserer Ehe. Aus der zuvor unscheinbaren Person erblühte neben mir eine glücklich liebende Frau, die meinen unruhigen Geist mit Ruhe und Ausgeglichenheit zu zähmen wusste.
 
Louise von Lengefeld blieb eine Woche bei uns in Jena und half Lotte beim Einrichten unseres Haushaltes, in welchem wir vorläufig auf eigene Möbel verzichteten. Ein weiteres Zimmer und eine Kammer hatten wir zusätzlich mieten können, welche uns von der Schwiegermama eingerichtet worden waren. Das Wenige, was wir unser Eigen nennen konnten, genügte uns, und wir genossen unsere neue Zweisamkeit. Meiner Frau stand die Kammerjungfer Simmern hilfreich zur Seite, und auch ich genoss nach wie vor die Annehmlichkeiten eines Hausdieners. Für unsere Beköstigung sorgten weiterhin die Geschwister Schramm und obwohl diese mehr schlecht als recht war, gaben wir uns auch damit zufrieden.
 
Da es uns vorerst nicht möglich war, Karoline, wie ursprünglich geplant in unserer Wohnung unterzubringen, sollten zukünftig separate Räumlichkeiten für sie gemietet werden.
 
Im Moment hielt sie sich immer noch in Erfurt auf, wo sie mit Karoline von Dacheröden oft die Gesellschaft des Koadjutor von Dalberg suchte, der insgeheim unter den beiden nur noch „der Goldschatz“ genannt wurde. Der Koadjutor war auch für mich ein überaus interessanter Umgang, und dies nicht nur im Hinblick auf die mir durch ihn gebotenen Zukunftsaussichten. Wir waren uns in manchen Gesprächen wunderbar nahe gekommen und genossen die Gegenwart des anderen. Dalberg glänzte durch seine gütige, liebenswürdige Art und seine Menschenfreundlichkeit. Sein Schöngeist hatte eine Vorliebe für alles Sinnliche, und höfische Eleganz prägte seine weltoffene und vielseitig interessierte Persönlichkeit. Besonders die Malerei lag ihm am Herzen, und er versuchte sich sehr erfolgreich selbst darin. So malte er für Lotte ein Bild zum Thema unserer Hochzeit, das er ihr alsdann zum Geschenk machte.
 
Durch die Hochzeitsvorbereitungen hatte ich meine Arbeit in der letzten Zeit vernachlässigen müssen. Die Anzahl der Hörer in den öffentlichen, unbezahlten Vorlesungen war von anfangs 400 auf 20 bis 30 zurückgegangen. Die zahlungsfähigen Studenten meiner Privatvorlesungen hatten sich auf ganze 10 Interessenten reduziert. Somit lagen sie deutlich unter der zunächst erhofften Zuhörerzahl. Für eine Arbeit über den Dreißigjährigen Krieg, mit der ich baldmöglichst beginnen wollte, hatte mir mein Verleger Göschen immerhin die beträchtliche Summe von 400 Talern in Aussicht gestellt.
 
Über die größten Schwierigkeiten der Vergangenheit hatten mich gute Geister hinweggetragen, und in wenigen Jahren würde ich allein von meiner Geistesarbeit genussvoll leben können. Auch wenn ich es noch so sehr wollte, könnte ich mich von meiner Bestimmung, die mich einst zum Poeten machte, nie weit entfernen.  
 
Meine Jugend, so träumte ich, würde ich irgendwann durch meine Arbeit zurückgewinnen können, wenn meine Dichterseele erst einmal frei wäre von jeglicher Belastung und sich ohne allen Zwang entfalten könnte. Was für ein schönes Leben ich jetzt führte! Mein Herz erfreute sich an den neuen Gegebenheiten. Endlich war ein Mensch an meiner Seite, dem ich Vertrauen und Liebe entgegenbringen durfte und dessen stille Existenz wie ein sanftes Licht über meinem Dasein erstrahlte. Die Harmonie ringsum erfreute meine Seele und gab mir eine große innere Zufriedenheit, die mir wiederum Kraft für meine Arbeit gab. Was wäre das Eine ohne das Andere gewesen!? Jetzt erst lebte ich und freute mich auf jeden neuen Tag, den ich wie ein Geschenk dankbar annahm. Wie oft hatte ich mich früher in diese Lebenssituation hineingeträumt, und jetzt übertraf die Wirklichkeit die schwärmerischsten Augenblicke meiner Vorstellungskraft. So hatte sich mein Ideal vom häuslichen Glück mehr als erfüllt.
 
Meine glückselige Situation schien perfekt, wären da nicht die drückenden Schulden und Verpflichtungen gewesen, die auf Ausgleich warteten. So schrieb ich für unser tägliches Brot und sah mich überhäuft mit ungeliebten Arbeiten, die kaum zu bewältigen waren und die mir nur wenig Zeit ließen, für meine Frau und die angenehmen Seiten unserer Ehe. Obwohl diese mir immer nur Rosen auf meinen steinigen Weg streute, trübten die ersten Wolken den anfangs strahlendblauen Himmel.
 
Karoline war nach ihrer Rückkehr von Erfurt einige Wochen in Jena geblieben, wo sie eigene Räume bezogen hatte, bemerkte jedoch meine und Lottes Veränderung nicht ohne Gram. Sie konnte sich in unserer glücklichen Gemeinschaft nur noch als Gast fühlen und blieb für mich die geliebte Schwesternseele, deren Gegenwart ich genoss, weil wir uns gut verstanden und wunderbar miteinander reden konnten, die jedoch nicht mehr meine Leidenschaft erweckte wie zuvor.
 
So zog sie sich nach einiger Zeit bekümmert von uns zurück, und wurde von ihrer klugen Mutter dazu aufgefordert, nach Ostern in Rudolstadt zu bleiben, zumal Beulwitz zwischenzeitlich seine Rückkehr angekündigt hatte.
 
Es war schwer für alle, sich mit der neuen Situation abzufinden, aber sicherlich noch schwerer für Karoline, die nun alleine mit Bangen und Unruhe ihren Gatten zurück erwartete, der ihr, aufgrund des angespannten Verhältnisses, nahezu unerträglich geworden war. Dadurch wurde sie noch mehr an unser harmonisches Zusammensein erinnert, von welchem sie sich nun mehr und mehr ausgeschlossen fühlte.
 
In Briefen an ihre Freundin Karoline von Dacheröden beklagte sie sich über den veränderten Ton zwischen uns, worüber sie sehr unglücklich wäre. Von Beulwitz kehrte am 21. Juli 1790 nach einjähriger Bildungsreise nach Rudolstadt zurück.   
 
Unser Osteraufenthalt Anfang April im Rudolstadter Familienkreis bei Torten und Pasteten hellte meine Stimmung ein wenig auf, doch als wir nach einem Monat wieder in Jena waren, erfasste mich die alte Unzufriedenheit aufs Neue. Ich arbeitete täglich 14 Stunden und mehr, las und schrieb, doch ohne mein Herz damit verbinden zu können.
 

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