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Balladenwettstreit

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Der Taucher. Ausschnitt aus einem Holzstich. 1882
 



Im Juli traute ich mir zu, Goethes Einladung nach Weimar zu folgen und blieb dort acht Tage. Ich besuchte die Herzogin Louise und trug im Beisein von Charlotte von Stein meine Ballade Der Handschuh vor. In den vergangenen Monaten hatte Goethe in der Einsamkeit des Schlosse sein Werk „Herrmann und Dorothea“ fertig gestellt.
 
Für mich war das Lesen des nun fertigen Werkes wie eine Erweckung meiner eigenen Geisteskräfte, und ich hielt das Epos für das bedeutendste der Schaffensgeschichte Goethes. Ich las es oft, doch niemals änderte sich mein erster Eindruck, der von dem Großen und Besonderen dieses Kunstwerkes überwältigt war. Goethes Werk führte mich durch seine rein poetische Form in eine göttliche Dichterwelt, weit weg von der realen, von der ich mich nur schwerlich entfernen konnte.
 
So sehr, wie ich das Ergebnis seiner Werke bewunderte, bestaunte ich auch den Entstehungsweg. Alle meine Arbeiten versuchte ich stets mit angestrengten Schritten zu bewältigen, was mich unendlich viel Mühe und Zeit kostete. Aus Goethe hingegen floss es einfach heraus, wie reifes Obst, welches einem durch leichtes Schütteln, ohne große Kraftanstrengung vom Baume fällt.
 
Goethe hatte Macht, unmittelbar auf mich einzuwirken; doch profitierten wir beide von unserer geistigen Nähe, waren doch meine Urteile an seinen Werken wiederum wie Stimmen aus einer anderen Welt für ihn, die seine Träume erzählten und auslegten, ihn förderten und sein Denken weiterentwickelten. Nun, da wir einander für unsere Arbeit nicht mehr missen wollten, galt es, unsere Verschiedenheit auf einen Nenner zu bringen.
 
Wie in einem Wettstreit wollten wir zu Themen, die wir gemeinsam aussuchten und dann aufteilen, Balladen schreiben. Dies geschah nicht ohne Druck, denn der Musen-Almanach für das kommende Jahr, für den ich bereits einen Vorschuss von 600 Talern erhalten hatte, verlangte nach geeignetem Inhalt. Pünktlich zur Michaelismesse musste er fertig sein, und ich begann Anfang Juni den Reigen mit der Ballade Der Taucher.
 
Währenddessen schrieb Goethe an der „Braut von Korinth“ und „Der Gott und die Bajadere“. Nur gelegentliche kurze Besuche Goethes unterbrachen unsere Arbeiten. Es folgten Die Kraniche des Ibycus, Der Ring des Polykrates, Ritter Toggenburg und Hero und Leander. Ein Jahr später folgten Die Bürgschaft, Die Worte des Glaubens und Der Kampf mit dem Drachen. Im Juli begann ich mit den Vorstudien zum Glockengießerlied, doch war mein Kopf so voll von anderen Dingen, dass ich von diesem Vorhaben vorerst wieder Abstand nahm.


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