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post mortem

 
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Schiller Totenmaske von Klauer nach dem Original im Schiller-Nationalmuseum in Marbach a. Neckar. Quelle: Schillers Beerdigung. Kummers Verlag Leipzig. 1905.
 



Um die Mitternachtsstunde des 11. auf den 12. Mai 1805 wurde Friedrich von Schiller in aller Stille auf dem ältesten Friedhof Weimars an der Jakobskirche im Kassengewölbe beigesetzt.
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Neues Kassengewölbe Jakobskirchhof. Foto: Gisela Seidel



Die einzigen Trauergäste waren die von Carl Leberecht Schwabe, dem späteren Bürgermeister Weimars, eiligst herbeigerufenen zwanzig anderen Schillerverehrer aus akademisch-künstlerischen Kreisen, die den einfachen Sarg aus Tannenholz zum Gemeinschaftsgrab trugen.
 
Dort wurden Schillers sterbliche Überreste ohne Grabrede, Trauermusik und Segen eines Pfarrers von den Totengräbern und drei Gehilfen in der feuchten Gruft versenkt. Keine Blumen und Kränze wurden gelegt, kein Gebet gesprochen.
 
Der einzige Familienangehörige, der Schillers letzten Weg begleitete, war der aus Naumburg herbeigeeilte Schwager Wilhelm von Wolzogen, der tief in seinen Mantel gehüllt, laut schluchzend dem Trauerzug folgte.
 
Nach städtischer Sitte fand die eigentliche Trauerfeier am Nachmittag des folgenden Tages in der Jakobskirche statt. Die Schiller-Verehrer der Stadt strömten herbei, so dass die Kirche zum Erdrücken voll war. Mozarts „Requiem“ und die Gedächtnisrede des obersten Geistlichen bewegten alle Herzen zutiefst. Der Eintrag im Kirchenbuch lautete folgendermaßen:
 
„May 1805: Donnerstag den 9. May des Abends halb sechs Uhr starb der Hochwohlgeborene Herr, Herr Dr. Carl Friedrich von Schiller, Fürstl.Sachsen-Meiningischer Hofrath allhier in einem Alter von 45 Jahren, 6 Monaten nach einem langen Krankenlager an einem Nervenschlag, und wurde sonntags darauf…des nachts 1 Uhr…in das Landschafts-Kassen-Leichengewölbe beigesetzt, die gewöhnliche Leichenrede aber wurde erstlich nachmittags um 3 Uhr von Sr. Hochwürden Magnificenz dem Herrn General Superintendent Vogt, in der Stadt-Jakobskirche gehalten und dabey das Requiem von Mozart aufgeführet.“
 
Was war post mortem geschehen? Doktor Huschke hatte zusammen mit dem Hofmedikus Doktor Wilhelm Gottfried Herder den Leichnam Schillers geöffnet. Die Obduktion brachte Merkwürdiges zu Tage:
 
1. Die Rippenknorpel waren durchgängig und sehr stark verknöchert.
2. Die rechte Lunge mit dem Rippenfell vorn und selbst mit dem Herzbeutel ligamentartig so verwachsen, dass es kaum mit dem Messer gut zu trennen war und ganz desorganisiert.
3. Die linke Lunge besser, marmoriert und mit Eiterpunkten.
4. Das Herz stellte einen leeren Beutel vor und hatte sehr viele Runzeln, war häufig ohne Muskelsubstanz. Diesen häutige Sack konnte man in Stücke zerflocken.
5. Die Leber natürlich, nur die Ränder brandig.
6. Die Gallenblase noch einmal so groß, als in natürlichem Zustande und strotzend vor Galle.
7. Die Milz um 2/3 größer als sonst.
8. Der vordere konkave Rand der Leber mit allen nahe liegenden Teilen bis zum Rückgrat verwachsen.
9. Die rechte und linke Niere in ihrer Substanz aufgelöst und völlig verwachsen.
10. Auf der rechten Seite alle Därme mit dem Bauchfell verwachsen.
11. Urinblase und Magen waren allein natürlich.
 
Todbringend, so darf man annehmen, war eine eitrige Lungenentzündung links und akute Herzmuskelschwäche. Vielleicht war dieser Krankheitsschub die Folge einer 14-jährigen Tuberkulose-Erkrankung, damals Lungensucht genannt!? Doch Schiller schrieb oft genug, wie froh er darüber sei, keinen blutigen Auswurf zu haben. Wieso erfolgte Schillers erster, schwerer Zusammenbruch während eines Essens in Erfurt am 2. Januar 1791 aus heiterem Himmel, ohne jegliche Vorwarnung?  
 
Doktor Huschke, der als Vertretung für Professor Stark Schillers Behandlung übernahm, war damit offensichtlich überfordert gewesen. Er konnte die Eigentümlichkeit dessen Erkrankung mangels Erfahrung nicht kennen. Deshalb diagnostizierte er den letzten, todbringenden Krankheitsschub als ein rheumatisches Seitenstechfieber. Die im Kirchenbuch vermerkte Todesursache „Nervenschlag“ ist ebenso wenig verständlich.  
 
Wenn man sich Schillers Krankheitsbild vor Augen führt, wirkt seine Schaffenskraft wie ein Wunder. Seine Geistesarbeit ‚trug’ ihn durch seine schwere Leidenszeit. Sie war wie ein Lebenselixier, aus dem er immer wieder neue Energie schöpfte, obwohl sein Körper mehr und mehr zerfiel.
 
Um Schillers Tod und Begräbnis winden sich unzählige Mutmaßungen. Obwohl das Landschaftskassengewölbe eine geräumige Gruft für Beamte, Offiziere und Adlige war, munkelten Teile der deutschen Bevölkerung von einem Armenbegräbnis. Sogar von einem Ritualbegräbnis durch die Freimaurer und illuminierten Anhänger Adam Weishaupts und dessen Nachfolger wird bis in die heutige Zeit gemutmaßt. Die Großen der Stadt Weimar waren Freimaurer. Schiller lehnte dies Sektengehabe ab und machte sich damit zum Außenseiter. "Er war unser", schrieb Goethe in seinem Epilog. War er das wirklich? Von einer Mitwisserschaft des Herzogs Karl August von Weimar und Goethe wurde gesprochen, die angeblich selbst noch im Tod die Demütigung Schillers stillschweigend geduldet hätten. Es wurden Parallelen gezogen zum Tod von Wolfgang Amadeus Mozart, der 1791 an einer bis heute nicht geklärten Todesursache verstarb, gerade zu dem Zeitpunkt, wo er „das Requiem“ schrieb, das Schillers Trauerfeier begleitete. Auch um Mozarts Tod winden sich Legenden. Dessen Begräbnis 3. Klasse fand in einem ähnlich erbärmlichen Rahmen statt. Nur eine Handvoll Menschen begleiteten damals dessen letzten Weg.
 
Ein großes Expertenteam versuchte im Jahre 2006 mit vorhandenem DNA-Material Mozarts Schädel zu identifizieren. Leider erfolglos! Gleiches geschah im Juli 2007 mit Schillers Schädel, dessen DNA-Proben mit denen seiner Frau und seines Sohnes Ernst verglichen wurden. Lange Monate hüllte sich die Stiftung Weimarer Klassik in Schweigen, bis sie endlich das Ergebnis bekannt gab: Es ist nicht Schillers Skelett, das in der Fürstengruft beigesetzt wurde, und auch in dem zweiten Sarg befanden sich keine Überreste von ihm.  
 
Schauen wir noch einmal zurück in das Jahr 1825: Damals erfuhr Schillers alter Weggefährte Andreas Streicher aus der Zeitung, dass es in Weimar immer noch kein Ehrendenkmal für Schiller gab. Diese Tatsache veranlasste ihn, zahlreiche Anfragen an den Geheimen Regierungsrat Christian Friedrich Schmidt nach Weimar zu schicken, der die Briefe aus Wien geradezu fürchtete.
 
Schließlich ließ Karl Leberecht Schwabe, Bürgermeister von Weimar, im Kassengewölbe nach den Überresten Schillers suchen. Wegen der in der Gruft vorherrschenden großen Feuchte, die selbst metallene Namensschilder verrotten ließ, gelang es nach Überwindung großer Schwierigkeiten, unter dem Wirrwarr zerfallener Särge und vermoderter Überreste, alle 23 im Gewölbe befindlichen Schädel zu bergen. Für die damalige Zeit war Schillers Körpergröße mit 185 cm außergewöhnlich gewesen. Deshalb wollte man den größten Schädel als den seinen erkannt haben.
 
Schillers Schädel wurde zunächst in der Großherzoglichen Bibliothek im Sockel der Dannecker Schillerbüste aufbewahrt. Am 24. September 1826 hatte Goethe den Schädel in sein Haus am Frauenplan bringen lassen, ihn fachgerecht präpariert und als osteologisches Studienobjekt unter einer Glasglocke verwahrt. Nach einem Jahr wurde in ihm der Gedanke wach, auch die übrigen Gebeine aus dem Massengrab zu bergen, obwohl dies ein schwieriges Unterfangen war. Da Goethe über gute osteologische Kenntnisse verfügte, gelang es ihm, die zum Schädel passenden Gebeine unter den untereinander vermengten Knochen herauszufinden. Erst im Jahre 1827 wurde der Schädel mit den übrigen Gebeinen in der Fürstengruft in Weimar beigesetzt.
 
Wer glaubt, Schiller hätte danach endlich die letzte Ruhe gefunden, der irrt! Bereits im Jahre 1883 untersuchte der Anatom Prof. Dr. Hermann Welcker Schillers Totenmaske und den Gipsabguss des von Schwabe geborgenen Schädels. Er kam zu dem Aufsehen erregenden Ergebnis, dass der in der Fürstengruft beigesetzte Schädel nicht der echte sein könne. Durch diese Aussage wurde natürlich auch die Echtheit der im Sarkophag liegenden Gebeine in Frage gestellt. Doch man beließ die Gebeine in der Gruft.
 
Es folgte ein wahrer Gelehrtenstreit, der zur Folge hatte, dass der Anatom und Schädelexperte Prof. Dr. August von Froriep im Jahre 1911 die endgültige Klärung bringen wollte. Er ließ Nachgrabungen auf dem Jakobskirchhof vornehmen, genau an der Stelle, an der einst das Kassengewölbe gestanden hatte, das im Jahre 1854 abgerissen und zugeschüttet worden war. Unter den geborgenen Gebeinen und 63 Schädeln glaubte Froriep nun tatsächlich den richtigen gefunden zu haben, was ihm zuletzt eine mehrköpfige, hochrangige Gutachterkommission bestätigte. Daraufhin wurden am 9. März 1914 der „Froriep-Schädel“ und das dazugehörige Skelett in einem einfachen schwarzen Holzsarg ebenfalls in der Fürstengruft beigesetzt. Seitdem waren beide Särge mit zwei Skeletten in der Gruft vorhanden.
 
1961 wurden die Totenschreine mit den vermeintlichen Schiller-Gebeinen erneut geöffnet, weil dort Feuchtigkeitsschäden aufgetreten waren. Der Anthropologe Herbert Ullrich versuchte nun gemeinsam mit dem Moskauer Prof. Michail M. Gerassimow eine Gesichtsrekonstruktion durchzuführen. Weimars Bedingung für die Untersuchung war jedoch absolutes Stillschweigen. Wenn beide Schädel falsch wären, sollte niemand etwas davon erfahren!     
 
Diese beiden Experten hatten schnell erkannt, dass der „Froriep-Schädel“ weiblich war. Der Schädel im zweiten Sarg passte sehr wohl zur Totenmaske! Die alten Gipsabdrücke waren in jeder Beziehung schlecht gewesen. Als Gerassimow das Gesicht modellierte, wurde die Ähnlichkeit mit Schiller beachtlich. Mit größter Wahrscheinlichkeit hätte es sich um den echten Schädel gehandelt, wenn die Zähne nicht falsch gewesen wären. Gleich sieben fremde Zähne wurden entdeckt! Schiller hatte zu Lebzeiten über jedes kleinste Krankheitszeichen ‚Buch geführt’. So auch über einen seiner Backenzähne, der ihn immer wieder plagte. Niemals war von sieben Zähnen die Rede! Zeitzeugen berichteten, dass Schiller ein makelloses Gebiss gehabt haben soll.  
 
Wieder scheint man ganz am Anfang zu stehen. Letzte Gewissheit über die Identität der beiden Skelette in der Fürstengruft konnte nur der DNA-Test bringen. Demzufolge müssen Schillers Gebeine immer noch auf dem Jakobskirchhof liegen! Lässt die Faszination des Mystischen die Geschichte um Schillers Leben und Tod auf ewig geheimnisvoll genug erscheinen, damit sich die Welt an ihn und sein unermüdliches Schaffen erinnert? Selbst aus der Transzendenz heraus gelingt es Schillers Geist auf theatralische Art und Weise das Allgemeininteresse zu wecken und wach zu halten.
 
Man sollte ihn in stiller Verehrung endlich ruhen lassen. Seine Gebeine hat man zerrissen, sein großer Geist lebt unzerstörbar unter uns.  

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