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Einsame Tage und "Erotica Romana


Griesbachsche_Haus_Jena

Schillers Wohnung in Jena. Quelle: Piana. Friedrich Schiller. Volksverlag, Weimar.
 



Obwohl wir Mitte April 1795 in das Griesbachsche Haus in der Schlossgasse 17 gezogen waren, wo wir die oberen Stockwerke mit Blick auf die Berge bewohnten, hatte ich mich kaum nach draußen gewagt.
 
Ich hatte Angst, längere Zeit zu laufen, weil sich dann meistens meine Krämpfe regten, und es waren nun schon wieder drei Monate vergangen, in denen ich das Haus nicht verlassen hatte. Meine nervliche Verfassung brachte mich so weit, dass mich auch der kleinste Schnupfen ängstigte, weil mit ihm meist das Fieber wiederkam, was mich um Tage in meiner Arbeit zurückwarf.
 
So auch Anfang Juni. Ich hatte wegen des schlechten Wetters und dem üblem Befinden kaum zu mir selbst finden können. Auch Lotte und Goethe waren erkrankt, und er trug sich mit dem Gedanken, nach Karlsbad zu gehen, um sich auszukurieren. Mein Fieber ließ nach einigen Tagen langsam nach, und ich erholte mich zusehends. Die Arbeit an den Horen war sehr anstrengend, und ich hatte einen harten Stand.
 
Besonders schwer war es, vom Thema der Metaphysik zu den Gedichten hinüber zu springen, und ich wäre froh gewesen, wenn Goethe zu mir gekommen wäre, um mir sechs Wochen lang seinen Geist einzuhauchen, damit ich soviel wie möglich in mich hätte aufnehmen können. 
 
Die Humboldts waren Anfang Juli 1795 nach Berlin abgereist, weil ihre Mutter, die in Tegel lebte, schwer erkrankt war. Drei Monate wollten sie dort bleiben, doch es war Ende 1796, als sie wieder zurückkehrten.
 
Ich fühlte mich wie eine Waise; noch dazu erschien mir der beste Philosoph im Vergleich mit einem Dichter nur eine Karikatur zu sein.
 
In den veröffentlichten Horen boten meine ernsthaften Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen neben Goethes „Erotica Romana“ einen sonderbaren Kontrast.
 
„Die Elegien“ waren einzigartig, hatten aber bei allen ehrbaren Frauen Empörung ausgelöst, obwohl wir die derbsten weggelassen hatten. Man redete von „bordellmäßiger Nacktheit“. Herder, besonders bestürzt, sprach von einer kaiserlich besiegelten Frechheit. Die Horen müssten nun mit einem „u“ gedruckt werden. Im Wiedersehensrausche mit der Vulpius seien sie von Goethe geschrieben worden, als er von Italien zurückkehrte. Auch der Herzog empörte sich über die Veröffentlichung, dessen Autor ihm in den Gedankengängen zu rüstig erschien. Er machte mich dafür verantwortlich, sie ohne Rücksprache herausgegeben zu haben. Der Herzog hatte Goethe schon länger nahe gelegt‚ „Die Elegien“ nicht der Öffentlichkeit preiszugeben. Dieses Widersetzen musste Karl August missfallen; auch löste Goethes Zusammenschluss mit mir in ihm Unbehagen und Misstrauen aus. 
 
Selbst der Prinz von Augustenburg hätte „Die Elegien“ lieber nicht in den Horen gelesen, obwohl er ihre natürliche, poetische Schönheit durchaus erkannt hatte. Ebenso schrieb Baggesen empört aus Dänemark, denn auch er hielt sie für einen groben Verstoß gegen die Sittlichkeit. 
 
Alle Fragen, die diese Veröffentlichung aufgeworfen hatte, versuchte ich im 1. Stück der Horen des Jahres 1796 mit dem Aufsatz Über naive und sentimentale Dichtung zu beantworten. 
 
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August Wilhelm von Schlegel und seine Frau Caroline; Karl Wilhelm Friedrich von Schlegel und dessen Freundin Dorothea. Quelle: Wikimedia
 



Zu den Wenigen, die sich hingegen bewundernd darüber ausgesprochen hatten, gehörte der Koadjutor von Dalberg und Wilhelm Schlegel, der glaubte, italienische Luft zu atmen, wenn er sie las.
 
August Wilhelm von Schlegel war mir bereits aus meiner Zeit in Dresden bekannt. Körner hatte mir den weitergehenden Austausch mit diesem begabten jungen Mann sehr ans Herz gelegt. Demzufolge hatte ich Schlegel zur Mitarbeit am Almanach und an den Horen gewinnen können, als er im Juli 1796 auf meine Anregung hin mit seiner Frau Caroline nach Jena kam.
 
Schlegel, der in dem verstorbenen Gottfried August Bürger seinen Mentor gesehen hatte, war in Jena als Rezensent tätig. Er opponierte gegen meine teilweise polemische Kritik an Bürgers Gedichten und nahm im Laufe der Zeit immer mehr Opposition gegen mich ein, wie auch sein Bruder Friedrich, der ihm kurze Zeit später nach Jena folgte. Ich hatte Wilhelm Schlegels Beitrag „Die Grenzen des Schönen“ in Wielands „Teutschen Merkur“ gelesen, der mich wegen seiner Wortverworrenheit und der Härte der Darstellung sehr erregt hatte, und ich äußerte Körner gegenüber die Befürchtung, dass Schlegel zum Schriftstellerischen womöglich nicht tauge.
 
Seit längerem war ich unter anderem damit beschäftigt, Beiträge für meinen Musen-Almanach zu sammeln, der den von Bürger ablösen sollte. Goethe, der am 2. Juli 1795 zur Kur abgereist war, kehrte am 11. August zurück und wurde dann urplötzlich nach Ilmenau abberufen.
 
Wieder alleine, mit Goethes Werken vor meinem geistigen Auge, wurde mir klar, dass ich vor sieben Jahren mein letztes Gedicht Die Künstler  geschrieben hatte. Aus mir war ein sachlicher Berichterstatter geworden, und ich beneidete Goethe um seine jetzige poetische Stimmung. Für mich wurde es höchste Zeit die Philosophie mit ihrer Abstraktion abzuschließen und mich wieder dichterisch anmutenden Objekten zuzuwenden. So eröffnete ich den Drahtseiltanz zwischen Philosophie und Poesie mit dem Gedicht Poesie des Lebens, dem noch weitere folgten. Fabeln und Parabeln sowie die Rätseldichtung schlossen sich an. Hier zu nennen Das verschleierte Bild zu Sais, Die Theilung der Erde und Pegasus im Joche. Mit einer letzten Abhandlung Über den moralischen Nutzen ästhetischer Sitten, fiel im 3. Heft der Horen die Türe zur Philosophie hinter mir ins Schloss.
 
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Musen - Almanach. Quelle: Wikipedia
 


 
Der Verlagsbuchhändler Michaelis hatte unterdessen den vereinbarten Drucktermin meines Musen-Almanachs nicht einhalten können. Anfang August erfuhr ich von Cotta, dass mein Vater für seine Veröffentlichung über „Die Baumzucht im Großen aus zwanzigjähriger Erfahrung im Kleinen“ von Michaelis noch keine Honorarzahlung erhalten hatte. Da Michaelis zu meinem Ärger auch auf mehrere Anfragen nicht reagierte, ließ ich das Geld für meinen Vater über Cotta anweisen.
 
Die Angelegenheit verunsicherte mich mehr und mehr, zumal ich Michaelis bereits die Druckkosten des Almanachs bezahlt hatte. Deshalb beauftragte ich Cotta für die Folgejahre mit der Veröffentlichung. Erst später klärte sich die Angelegenheit, und meine Poetische Sammlung, der Musenalmanach für das Jahr 1796, wurde im Dezember publiziert.
 
Anfang Oktober 1795 erhielt ich zu meiner großen Freude einen Brief aus Wien, der mich völlig überraschte. Mein alter Weggefährte Streicher, von dem ich zuletzt im Jahre 1785 bei meinem Weggang von Mannheim gehört hatte, meldete sich und lud mich nach Wien ein.
 
Er hatte 1794 die Tochter des Klavierbauers Stein in Augsburg geheiratet und sich im Klavierbau einen Namen gemacht. Auch wurde der „Streicherische Klaviersalon“ zum Treffpunkt der musikalischen Welt. Ich bedankte mich bei ihm für die Einladung, der ich gerne gefolgt wäre, doch ließ mein Gesundheitszustand diese große Reise nicht zu. Viel lieber wäre es mir gewesen, wenn Streicher nach Weimar gekommen wäre, doch auch dazu kam es nicht.  
 

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