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Jena und zwei Engel

Antrittsrede Uni Jena


Meine neue Unterkunft übertraf meine Erwartungen. Am Montag war ich eingezogen und freute mich über den freundlichen Anblick meiner neuen Umgebung. Es waren drei Räume, die ineinander liefen, mit hellen Tapeten und vielen Fenstern. Auch die Möbel waren liebevoll ausgesucht und schön: Zwei Sofas, ein Spieltisch, drei Kommoden und anderthalb Dutzend Sessel mit rotem Plüsch ausgeschlagen.
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Kommode Jena. Schiller Nationalmuseum Marbach. Foto: A. v. Hagen
 


 
Eine Schreibkommode hatte ich mir selbst anfertigen lassen. Sie hatte mich zwei Karolin gekostet, war aber wenigstens drei wert. Dieser Schreibtisch war mein wichtigstes Möbelstück, trotzdem hatte ich mich bisher immer mit anderen Dingen behelfen müssen.
 
Die unverheirateten, schon älteren Töchter des verstorbenen Superintendenten Schramm hatten mir die Wohnung vermietet und versorgten mich für kleines Geld mit den nötigen Mahlzeiten. Sie waren sehr dienstfertig, aber auch sehr redselig. Das Leben hier schien billiger zu sein, als in Weimar. Wäsche, Friseur, Bedienung und dergleichen waren vierteljährlich zu zahlen, und ich schätzte meinen jährlichen Geldbedarf auf 450 Taler ein.
 
Das Honorar für die geplante Allgemeine Sammlung Historischer Memoires vom zwölften Jahrhundert bis auf die neuesten Zeiten, welches ich mir durch den Vertrag mit dem Jenaer Buchhändler Maucke erhoffte, vermochten diese Kosten schon alleine zu decken. Mit einer universalhistorischen Abhandlung über die Kreuzzüge wollte ich das Werk interessant eröffnen.
 
Mit jeder weiteren Einnahme könnte ich meine Schulden beim Geldverleiher Beit in Leipzig und bei Wolzogen abtragen und etwas für meine Einrichtung kaufen. Da Wieland mich als Mitarbeiter für seinen „Teutschen Merkur“ nicht verlieren wollte, waren auch von dieser Seite Einnahmen zu erwarten.

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Johann Jakob Griesbach. Theologie-Professor Jena (seit 1775). Quelle: Wikimedia
 


 
Nun hatte ich zunächst einige Antrittsbesuche zu absolvieren, und ich machte den Anfang beim Vizerektor der Universität, Justus Christian Ludwig von Schellwitz, der als ordentlicher Professor des Staatsrechts berufen war. In rein ehrenamtlicher Funktion stand der Herzog Karl August zu dieser Zeit an der Universitätsspitze. Wenn ich erst im Kollegium eingeführt worden wäre, wollte ich Visitenkarten verteilen. Danach hatte ich mehr Zeit für weitere Besuche.
 
Meine Lesungen sollten im Reinholdschen Auditorium stattfinden, und wenn die Anzahl der Hörer zu groß wäre, würde ich das von den Theologieprofessoren Griesbach oder Döderlein nehmen, worin mehr Menschen Platz hatten. Obwohl es noch wenigstens zwei Wochen bis zu meiner ersten Lesung dauern würde, wuchs die Unruhe in mir, zum ersten Mal vor fremden Menschen öffentlich reden zu müssen. Doch so sehr mich das auch beunruhigte, so sehr wollte ich diese Verlegenheit auch überwinden. Wenn meine erste Vorlesung zweckmäßig, gut und interessant ausfiele, würde mir dies alleine schon Mut machen, meinen ersten öffentlichen Auftritt unerschrocken durchzustehen.
 
Die Tage vergingen wie im Flug und je näher der 26. Mai 1789 rückte, desto größer wurde meine Unruhe. Es war mir nicht mehr viel Vorbereitungszeit geblieben, doch meine Antrittsrede, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte, war fertig, und ich bereit für die Eröffnung des Lehramtes.
 
Endlich war der Tag meinen Debüts gekommen! Ich hatte dafür das Auditorium Reinholds gewählt. Es war von mäßiger Größe und konnte ungefähr 80 sitzende Hörer, vielleicht 100 insgesamt erfassen, doch wollte ich in der Einschätzung meiner Zuhörerzahl bescheiden bleiben und wählte deshalb den kleineren Saal.
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Schiller auf dem Weg zum Auditorium. Gemälde von Erich Kuithan. Quelle: Uni, Jena.
 


 
Meine Vorlesungsstunden waren abends von 6 bis 7 Uhr eingeplant und bereits um halb 6 war das Auditorium voll. Aus Reinholds Fenster sah ich Trupp über Trupp die Straße heraufkommen, ohne ein Ende absehen zu können.
 
Mit zunehmendem Vergnügen nahm ich die wachsende Anzahl Menschen wahr, was mir Mut machte und meine zuvor empfundene Furcht betäubte. Ich hatte mich selbst innerlich zu festigen versucht, in dem ich mir immer wieder einredete, dass meine Vorlesung den Vergleich mit keiner anderen zu scheuen brauchte, die jemals hier von einem Podium herab gehalten worden war.
 
Die Menge wuchs so kolossal, dass Vorsaal, Flur und Treppe voll gedrängt waren und viele wieder gingen. Jemand machte den Vorschlag, für diese Vorlesung das Auditorium zu wechseln.
 
Griesbachs Schwager war gerade unter den Studenten und schlug vor, bei Griesbach zu lesen. Diese Idee wurde mit Freuden umgesetzt. Nun gab es ein lustiges Schauspiel. Alles stürzte hinaus und in einem Zuge die Johannisstraße hinunter, die eine der längsten in Jena war und von Studenten ganz übersät. Alle liefen so schnell sie nur konnten, um in Griesbachs Auditorium noch einen guten Platz zu bekommen. Es war wie ein Alarm, der alles an den anliegenden Fenstern in Bewegung brachte. Man dachte an ein Feuer, und am Schloss kam die Wache in Bewegung. Was los sei, fragte man überall. Andere antworteten: Der neue Professor wird lesen.
 
So trug der Zufall selbst dazu bei, meinen Anfang recht brillant zu machen. Ich wartete eine kleine Weile und folgte dann nach. Reinhold begleitete mich. Ich musste fast die ganze Stadt durchqueren, und mein Weg glich einem Spießrutenlauf.
 
Griesbachs Auditorium war das größte und konnte, voll gedrängt, bis zu 400 Menschen fassen. Diesmal war es voll und zwar so sehr, dass ein Vorsaal und auch der Flur bis an die Haustüre besetzt waren, und sich viele im Saal selbst auf die Sitzbänke stellten. Ich zog also durch eine Allee von Zuschauern und Zuhörern ein und hatte Mühe den Katheder zu finden. Ein lautes, beifälliges Pochen, nicht nur meines Herzens, sondern auch der Zuhörer begleitete mich, und ich bestieg mein Podium, wie das Zentrum eines Amphitheaters. Ringsum war ich von Menschen umgeben. Glücklicherweise war hier an dieser Stelle die Schwüle des Saales erträglicher, weil alle Fenster geöffnet waren. Tief atmete ich die frische Luft ein. Nach den ersten fest gesprochenen Worten fand ich meine Fassung wieder, die mich dazu befähigte, meine Lesung mit Stärke und Sicherheit in der Stimme zu bewältigen, was mich selbst überraschte.
 
Ich schien einen guten Eindruck gemacht zu haben, denn überall in der Stadt wurde abends davon geredet. Meine Studenten hatten sich etwas ganz Besonderes für mich einfallen lassen, denn ich bekam unter dreimaligem Vivatruf von Ihnen eine Nachtmusik präsentiert, was noch keinem neuen Professor widerfahren war.
 
Am nächsten Tag wurde das Auditorium ebenso stark besucht, und ich hatte mich schon so gut an mein neues Fach gewöhnt, dass ich die Lesung sitzend vollzog.
 
Den Vorlesungen selber konnte ich nicht viel abgewinnen. Ich bezweifelte insgeheim, dass meine Studenten überhaupt die grundlegenden Fähigkeiten besaßen, mit Interesse meine Worte empfangen und daraus lernen zu können. Ich empfand es wie eine unsichtbare Schranke zwischen mir und den Zuhörern, die sich kaum überwinden ließ. Ich warf meine Gedanken in den Raum und bekam von keinem der 400 Ohrenpaare eine anerkennende Resonanz oder Bestätigung des Verstehens. Im Gegenteil! Ich musste ständig damit rechnen, missverstanden zu werden. So musste ich mich damit trösten, ja daran gewöhnen, dass vielleicht nur ein Teil meiner Lehren auf fruchtbaren Boden fiel.  
 
Nach meiner Antrittsrede folgten drei historische Aufsätze, die in der Thalia abgedruckt wurden. Einer davon mit dem Titel: Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde. Anlass dazu war ein Aufsatz von Immanuel Kant "Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte", ein anderer: Die Sendung Moses.
 


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