Club der Bürgerlichen
Nur einen Tag später wurde mein Don Carlos von Friedrich Ludwig Schröder in Hamburg uraufgeführt. Schon in der Vergangenheit hatte ich den Entschluss gefasst, nach Hamburg zu reisen, doch daraus wurde nichts.
Erst Mitte Oktober ergab sich die Gelegenheit mit Wieland über den Don Carlos zu sprechen. Seit Anfang Oktober fand sich jeden Mittwoch eine Gesellschaft von Damen und Herren ein, bei der kein Adel zugelassen war. Dort verkehrte ich regelmäßig. Hier wurde Karten gespielt, diskutiert, zuweilen auch getanzt und gemeinsam gegessen. Wieland spielte "Whist" mit Leidenschaft, und ich wurde sofort in eine neue Runde mit eingebunden. Nun traf ich mich einmal wöchentlich zum Spiel.
Zu der bunten Runde gesellten sich auch der Kammerrat Ridel, der Hofmedikus Hufeland und die Damen Karolina Christina Schmidt, Tochter des geheimen Assistenzrates Schmidt sowie die Kammersängerin Corona Elisabeth Wilhelmine Schröter.

Christoph Wilhelm Hufeland. Stich von F.Müller nach dem Gemälde von Tischbein. Quelle: Wikipedia
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Die übrigen Abende der Woche verbrachte ich gemeinsam mit Charlotte von Kalb oder bei Frau von Imhof, wo ebenfalls gespielt wurde. Das Kartenspiel war ein Ausgleich für meine Arbeit und die einzige Zerstreuung, die ich hatte.
Von dem Tage unseres Wiedersehens an wurde der Umgang mit Wieland intensiver. Ich verkehrte fast täglich in seinem Hause und genoss den freien Zugang zu seiner Bibliothek, den er mir gestattete. Die Zeit mit ihm brachte mir neue Erfahrungen, und obwohl wir uns überhaupt nicht ähnelten, machte die gegenseitige Sympathie Wieland zu einer jugendlichen Erscheinung.
Ich fand in ihm einen begeisterten Zuhörer, als ich aus meiner Arbeit vorlas:
Der Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande. Er umarmte mich völlig hingerissen und sagte mir, dass meine Studien in diesen historischen Fächern von der Güte her unvergleichlich wären.
Aus dieser Situation heraus machte mir Wieland den Vorschlag, meine
Thalia, die keinen festen Erscheinungstermin hatte, mit dem „Teutschen Merkur“ zu verbinden und daraus „das herrschende Nationaljournal“ zu machen.
Dieser Vorschlag erweckte in mir neue Visionen, denn ich sah mich gedanklich bereits als Nachfolger Wielands und spielte mit der Idee, vielleicht sein Schwiegersohn werden zu können. Doch die zweite Träumerei verwarf ich nach geraumer Zeit wieder, da mir seine noch ledige Lieblingstochter zu unerfahren und naiv erschien.
Ich hatte meine bereits für September geplante Reise nach Meiningen noch einmal verschieben müssen, weil ich mich von meiner Arbeit nicht losreißen konnte. Bereits Anfang Oktober konnte ich Siegfried Lebrecht Crusius, Verleger und Buchhändler in Leipzig, den ersten Teil meines Manuskriptes der
Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande übersenden. Dafür erbat ich mir die erste Rate meines Honorars, um davon meinem Freund Huber einen geschuldeten Betrag zurück zu zahlen und mir das Überleben für den Monat zu sichern, denn meine Taschen waren wieder einmal völlig leer.
Ich schrieb an Huber, dass ich alles dafür täte, ihm so bald wie möglich Geld zu schicken. Ich vermisste ihn und auch Körner. Hier hatte ich einen großen Bekanntenkreis aber keine Freunde, und auch die Beziehung mit Charlotte konnte mir keine Männerfreundschaft ersetzen. Ich fühlte mich isoliert und alleine.
Charlotte von Kalb nach einem Ölgemälde von Johann Friedrich August Tischbein
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Die auf das Sommerhalbjahr beschränkte militärische Dienstzeit war beendet, und Heinrich von Kalb, Charlottes Ehemann, wurde zu einem ausgedehnten Winterurlaub zurückerwartet. Charlottes Verfassung zeigte die gleichen Verhaltensmerkwürdigkeiten wie vor meiner Ankunft, und ich fand mich völlig fehl am Platze. Also ging ich ihr aus dem Weg.
Der Herzog hatte das Land wieder verlassen und war nach Holland gereist, um dort den gesamten Winter zu verbringen.
Ende Oktober teilte mir Huber mit, dass er Aussichten hätte, im Frühjahr des Jahres 1788 nach Mainz zu gehen, um dort als Legationssekretär bei der neu errichteten kursächsischen Gesandtschaft zu arbeiten. Er erinnerte mich auch an die Rücksendung seines Mantels, den er mir vor meiner Reise nach Weimar geliehen hatte. So musste ich in diesem Winter ohne Mantel auskommen.
Mitte November war Heinrich von Kalb in Kalbsrieth angekommen und dorthin war Charlotte nun ebenfalls abgereist. In acht Tagen wollten beide nach Weimar zurückkehren, und ich dachte mit ungutem Gefühl an die gemeinsame Aussprache, die bevorstand. Doch dann entschloss ich mich, dem ganzen Szenario den Rücken zuzukehren, indem ich die schon lang verschobene Reise nach Meiningen antrat.
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