Rückkehr nach Weimar

Friedrich Schiller 1787. Stich von E. Küchler nach dem Gemälde von Joh. Chr. Reinhart. Quelle: Mosapp. Charlotte von Schiller. 1905
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Einige Monate waren vergangen, in denen ich von Charlotte von Kalb nichts gehört hatte. Nun erfuhr ich aus einem ihrer Briefe, dass sie nach Weimar zurückgekehrt sei. Sie blieb unterschwellig in meinem Leben, mal mehr und mal weniger, wie zwei Sterne, die sich anziehen, um sich auf ewig abzustoßen. Ich war dabei, mir ein neues Leben einzurichten und dies forderte die endgültige Auflösung unseres Verhältnisses. Auch die fragwürdige Schwangerschaft geisterte durch meine Gedanken. Nie hatte sie etwas davon erwähnt und war mir doch zuletzt ständig aus dem Weg gegangen. In Hoffnung - vielleicht durch mich?! Sie hatte sich vollkommen aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen, und der Brief, den ich an sie schrieb, riss sie in eine noch tiefere Depression.
Ihr Mann war bereits vor Monaten abgereist und sollte so bald nicht zurückkehren. Sie lebte monatelang in völliger Isolation, und ich wollte mich nicht in den Sog ihrer dunklen Stimmung herabziehen lassen. Ich beschrieb unsere Beziehung als weder gut noch schlecht, doch ohne gemeinsames Streben und somit zukunftslos.
Doch war ich ihr zu großem Dank verpflichtet, da sie mich in die Weimarer Gesellschaft eingeführt hatte. Aus dieser Verpflichtung heraus machte ich ihr den freundschaftlichen Vorschlag, zu mir nach Rudolstadt zu reisen, um eine Zeit lang in ländlicher Umgebung ihren Gemütszustand zu bessern.
So eigentümlich meine Vorstellung klingen musste: Ich hatte die irrige Ansicht, aus den drei Frauen Freundinnen machen zu können und stellte mir so ein freies und schöneres Leben unter uns vor.
Der Inhalt dieses Briefes war wirklich ernst gemeint, doch kannte ich meine Unfähigkeit, die Gemütsschwankungen von Charlotte von Kalb zu ertragen. Vielleicht waren meine Gefühle ihr gegenüber nicht groß genug, um auch die negativen Seiten des Lebens mit ihr teilen zu können. Sie schrieb mir zurück, wie lebenswichtig ihre gesellschaftliche Stellung für sie sei. Die Gesellschaft würde sich rächen, wenn man sich von ihr trennen würde. Erst im Herbst sollte ich Charlotte von Kalb in Weimar wiedersehen und ließ ihre Briefe, die dem ersten folgten, unbeantwortet.
Zu meiner lang andauernden Erkältung, die sich hartnäckig hielt, gesellte sich in den letzten Septembertagen ein rheumatisches Fieber, welches durch ein Zahngeschwür ausgelöst worden war und mich einige Wochen mit allen Plagen, besonders aber mit wütenden Zahnschmerzen, marterte. Mein Kopf und der Zahn schmerzten so stark, dass es mir alle Freuden und die Lust am Leben nahm. Erst Anfang Oktober wich der Schmerz, doch mein Gesicht war noch so stark angeschwollen, dass ich es vorzog, noch einige Tage im Hause zu bleiben, mit einem dicken Verband um meinen Kopf, der mich noch elender aussehen ließ.
Ich genoss die letzten Anstrengungen der Sonne, die Mühe hatte durch die schon herbstlichen Wolken zu dringen und erinnerte mich traurig daran, dass ich bald Abschied nehmen musste.
Charlotte Albertine Ernestine von Stein. Selbstportrait. Quelle: Wikimedia
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Mitte Oktober fuhr Charlotte von Lengefeld erneut nach Kochberg, um Frau von Stein zu besuchen.
Seit deren Besuch in Rudolstadt hatte ich sie sehr zu schätzen gelernt, denn da war nichts an ihr von der sonst höfischen Oberflächlichkeit, sondern sie glänzte durch ihren edlen und ernsten Charakter.
Meine Abreise war schon im Oktober geplant, doch ich verschob sie auf einen noch unbestimmten Tag nach meinem Geburtstag, weil ich diesen im Kreise der Familie Lengefeld verbringen wollte. So war mein Jahrestag diesmal ein für mich sehr denkwürdiger, den ich gemeinsam mit Charlotte und Karoline feiern durfte. Bereits einen Tag später entschied es sich, dass beide mit ihrem Onkel Wilhelm Christian Ludwig von Wurmb nach Erfurt zu der befreundeten Karoline von Dacheröden abreisen sollten.
Karoline von Humboldt, geb. Dacheröden nach einem Gemälde von Schick. Quelle: Mosapp. Charlotte von Schiller. 1905
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So machte ich mich ebenfalls auf die Rückreise nach Weimar, wo ich am 12. November eintraf.
Der Sommer war hier öde gewesen. Anna Amalia war nach Italien gereist, und auch Herder war im August dem Angebot des Trierer Domherren Johann Friedrich Hugo von Dalberg gefolgt, mit diesem als Reisebegleiter nach Italien zu gehen. Wie sich später herausstellte, reiste der Domherr jedoch wider Erwarten in Begleitung der als eitel und prunksüchtig geltenden Witwe eines Weimarer Kammerherrn, Sophia Friederike von Seckendorff, die Schwester des Herrn von Kalb, was Herder menschlich sehr unerquicklich wurde. In Rom trennte er sich deshalb von beiden und suchte Anschluss an Anna Amalia. Er kehrte erst im Juli 1789 nach Weimar zurück.
Zwar nahm ich die Besuche bei Wieland wieder auf, konnte aber an den wöchentlichen Clubgesellschaften keine rechte Freude finden. Es fehlte mir die familiäre Atmosphäre, die ich im Hause Lengefeld so intensiv genossen hatte. Nun fühlte ich wieder meine Einsamkeit.
Das Ziel meiner Arbeitsaufgaben und Studien war nahezu erreicht. Ich fühlte mich ein wenig freier, weil ich nun erst einmal der Aufgabe entbunden war, das Schreiben an der
Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung weiterzuführen. Bereits Ende Oktober hatte ich ein Belegexemplar davon an Körner geschickt.
Die Übersetzung der griechischen Tragödie "Iphigenie in Aulis", welche ich zwischenzeitlich in Jamben begonnen hatte, schloss ich bereits Mitte Dezember ab. Diese erschien teilweise im 6. Heft meiner Thalia, Anfang März und im 7. Heft im Mai 1789. Hierzu hatte ich den griechischen Text der "Phönizierinnen des Euripides", die lateinische Übersetzung und das "Theatre Grèc" von Pierre Brumoy verwendet.
Da, wie schon so oft, meine finanziellen Reserven aufgebraucht waren, blieb mir keine andere Möglichkeit, als mich mit geborgtem Geld einigermaßen über Wasser zu halten.
Wie schon im vergangenen Jahr, bat ich Friedrich Justin Bertuch, als Mitherausgeber der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ in Weimar, um einen Vorschuss von 100 Reichstalern.
Meine Rezension des „Egmont“ von Goethe war hier bereits erschienen und hatte für sehr viel Wirbel und Aufsehen gesorgt.
Bertuch besaß in Weimar das schönste Haus und galt als einer der größten Verleger seiner Zeit, der die Stadt politisch, wirtschaftlich und kulturell geprägt hatte. Er half mir ohne lange Umschweife. Die geliehene Summe trug mich über die nächste Zeit, zumal mich Dalberg in Mannheim mit meiner noch ausstehenden Bezahlung von einem Vierteljahr aufs nächste vertröstete. Ich musste mich nun noch mehr einschränken, um meinem gefassten Vorsatz, den Schuldenberg weiter zu reduzieren, treu bleiben zu können.
Das Jahr neigte sich dem Ende zu. Auch jetzt noch konnte ich meinem Freund Körner ruhigen Gewissens versichern, dass mein Herz frei sei. Das Verhältnis zu Charlotte von Kalb betrachtete ich als gelöst. Auch mein Versuch, zwischen ihr und Charlotte von Lengefeld ein Freundschaftsband zu knüpfen, misslang.
Ich besuchte Charlotte von Kalb am letzten Tag des Novembers und überbrachte ihr einen Brief von Charlotte von Lengefeld, in dem diese um ihre Freundschaft bat. Doch Charlotte von Kalb konnte dieses Ersuchen aufgrund des Altersunterschiedes nicht nachvollziehen.
Natürlich wusste ich, dass der Grund der Ablehnung ein anderer war, zumal mir die Wahrheit durch die Tatsache offenbart wurde, dass sie jeglichen weiteren schriftlichen Kontakt mit mir ablehnte. Darüber war ich sehr betroffen, denn sie faszinierte mich aufs Neue durch ihre geistvolle Unterhaltung und ihre tiefen Gedankengänge. Wie gerne hätte ich die Welt an ihren Gedanken teilhaben lassen! So beschlich mich eine leise Wehmut, als wir uns trennten, denn eigentlich lag mir nach wie vor recht viel an unserer Verbindung.
Die neue Freundschaft zum Hause Lengefeld war mir sehr wichtig geworden. Doch war mir die bittere Erfahrung mit Henriette von Arnim immer noch im Gedächtnis. So etwas wollte ich nie wieder erleben!
Deshalb versuchte ich meine Empfindungen dieses Mal zu kontrollieren und durch Verteilung auf Charlotte und Karoline abzuschwächen.
Nur so konnte ich meine Gefühle innerhalb der Grenzen einer herzlichen, vernünftigen Freundschaft halten, ohne zuviel zu geben oder zu verlangen, wobei ich beiden Frauen durchaus dieselbe Aufmerksamkeit zuteil werden ließ. Es erwuchs zu einer Art Spiel, und wir spielten es zu dritt. Jeder wusste von jedem, und da es die freundschaftlichen Grenzen nie überschritt, wurde es von allen Seiten gleichermaßen geschätzt. Nur der Himmel wusste zu der Zeit, wer letztendlich Gewinner sein würde.
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