Goethes Erkrankung und "Tankred"
Goethe litt seit dem Jahreswechsel an einem Katarrh, der sich am 3. Januar in eine Gesichtsrose mit Fieber und Krampfhusten verwandelt hatte. Aufgrund von Erstickungsanfällen und ständig steigendem Fieber konnte er das Bett nicht verlassen. Professor Stark wurde von Jena geholt und nahm einen großen Aderlass vor. Die Rose hatte verschiedene Körperpartien und die Augen befallen und Goethe erkannte im Fieberwahn keinen Menschen mehr. Ich besuchte ihn so oft ich konnte und war erleichtert, als sich sein lebensbedrohlicher Zustand gegen Mitte des Januars wieder besserte.
Da Goethe noch längere Zeit brauchte, um völlig wiederhergestellt zu sein, übernahm ich eine zeitlang die dringlichen Theaterarbeiten, denn der Geburtstag der Herzogin stand am 30. Januar an. Goethe hatte zum wiederholten Male ein Stück von Voltaire übersetzt, das zu den Feierlichkeiten gegeben werden sollte. Der „Tankred“ wurde unter meiner Leitung nach zahlreichen Proben aufgeführt.

Erster Kreuzzug. Quelle: Wikipedia
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Nebenbei arbeitete ich weiter an meiner Tragödie und konnte Goethe Anfang Februar die Fertigstellung der ersten drei Akte melden. Am 5. März, nachdem er vollends genesen war, zog ich mich in die Stille meines Gartenhauses in Jena zurück, weil ich in Weimar für meine intensive Arbeit nicht die Ruhe hatte, die ich brauchte. Ich hatte vor, dort mehrere Wochen, bis zur Vollendung meiner
Jungfrau von Orleans, zu bleiben. Einzige Abwechslung waren das Kartenspiel mit Niethammer und Schelling und vereinzelte Besuche bei Griesbachs. Selbst über die Ostertage wollte ich nicht nach Weimar zurückkehren, obwohl ich sehr unter der zugigen Kälte in den Räumen des Gartenhauses litt, die auch bei geschlossenen Fenstern durch die Ritzen kroch und meine Brust angriff.
Ich setzte mich selber unter Zeitdruck, weil das Voranschreiten des Stückes nur langsam vonstatten ging. Die Einsamkeit hatte mich nicht produktiver gemacht, und es wich mitunter der Mut, meine Arbeit noch zur rechten Zeit ausführen zu können.
Nach einem Besuch Lottes und meinen Söhnen, die gemeinsam mit ihrem Cousin Friedrich von Wurmb zu mir nach Jena kamen, kehrte ich Anfang April nach Weimar zurück und übernahm für Goethe, der auf seinem Gut in Oberroßla weilte, die Leitung der Theaterproben für die 3. Aufführung des „Tankred“, die am 8. April stattfand.
Am 15. April konnte ich Goethe, der einen Tag vorher nach Weimar zurückgekehrt war, die Fertigstellung der Tragödie melden und schickte ihm das Manuskript und den Entwurf zur Rollenbesetzung drei Tage später. Goethe war am 22. April nach lobender und gutheißender Beurteilung meines Werkes zwecks Regelung seiner Pachtverhältnisse wieder nach Oberroßla zurückgekehrt.
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