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  Berufung nach Jena

 

ChristianGottlobVoigt

Christian Gottlob von Voigt, Pastellgemälde Goethe- Nationalmuseum (1932) Quelle: Wikipedia
 


 
Seit meiner Rückkehr aus Rudolstadt hatte ich mich für die Öffentlichkeit nahezu unsichtbar gemacht. Da ich einige Einladungen zum Essen ausgeschlagen hatte, blieben weitere aus. Auch die Besuche bei Wieland waren selten geworden, zumal seine Mutter erkrankt und im Dezember verstorben war. Nur Bertuch, Hofrat Voigt und einige andere besuchten mich gelegentlich und ich sie.
 
Um meiner Einsamkeit zu entfliehen, suchte ich wieder häufiger Charlotte von Kalbs Gegenwart, die in diesem Winter gesünder und heiterer wirkte, als im letzten Jahr. Wir kamen uns wieder recht nah, und obwohl sie in ihre alte Schwärmerei verfiel, waren unsere romantischen Luftschlösser in sich zusammengefallen, und die Realität hatte unsere Beziehung eingeholt. Ich machte mir keinerlei Illusionen, was unsere gemeinsame Zukunft betraf und fühlte mich frei und unabhängig. Warum sollte ich ihr von meiner engen Freundschaft zu den Lengefeld-Schwestern erzählen? Ich kannte ihre Eifersucht und wusste, wie sie reagieren würde. Meine Erwartungen hatte sie im letzten Jahr enttäuscht, und ich war Menschen gegenüber schüchtern und misstrauisch geworden. Doch dann sah ich sie einige Wochen lang nicht mehr, denn sie umgab sich neuerdings mit Leuten, die ich nicht schätzte.
 
Mitte Dezember erhielt ich eine Nachricht, die meinem Trübsinn eine andere Dimension verlieh.
 
Christian Gottlob von Voigt, der zu den einflussreichsten Männern Weimars gehörte und mit Goethe zusammenarbeitete, erschien in seiner Funktion als geheimer Regierungsrat bei mir. Er teilte mir mit, dass ich mich für eine Professur der Geschichte in Jena bereithalten sollte. Der Jenaer Universitätsprofessor Eichhorn war einem Ruf der Universität nach Göttingen gefolgt, weil es zwischen ihm und dem Theologieprofessor Döderlein in Jena erst zu Zwistigkeiten und zuletzt zu Hetzereien gekommen war. So sollten meine Berufung und mein Name das Ansehen der Universität wieder aufbessern.
 
Es bedurfte noch einiger Zeit bis die amtlichen Verfügungen vollständig waren, doch schien der offizielle Erlass nur noch reine Formalität zu sein. Voigt und Goethe waren die treibenden Kräfte dieser Aktion, denn Goethe hatte seinen Einfluss spielen lassen und mich für die Ernennung zum Professor, zunächst ohne Gehalt, vorgeschlagen. Er schien sehr daran interessiert zu sein, etwas für mein Glück beitragen zu können!
 
Schon länger war es meine Idee, irgendwann an die Universität nach Jena zu gehen, doch erst in ein oder mehreren Jahren, nachdem ich mich besser vorbereitet hatte. Im Moment fühlte ich mich unwissender, als die Studenten selbst, und mir war alles andere als wohl in meiner Haut.
 
Doch wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand! So sehr die Berufung im Großen und Ganzen mit meinen Wünschen übereinstimmte, so wenig war ich von der Geschwindigkeit erbaut, mit der die Sache betrieben wurde.
 
Noch dazu bekam ein außerordentlicher Professor keinerlei staatliche Besoldung. Vielleicht war es die einzige Möglichkeit, auf diesem Wege irgendwann eine Berufung als besoldeter Professor zu erhalten!?
 
Einzige Entlohnung waren letztendlich die Kolleggelder, die ich von den Studenten bekommen sollte und die vielleicht 400 Taler ausmachten. Zusätzlich zu meinen Lesungen musste ich meine übrigen literarischen Arbeiten weiterführen, denn dieser Verdienst sicherte mein Überleben und gab mir die Möglichkeit, meine Schulden abzuzahlen. Doch wie war dies alles zu bewerkstelligen? Zusätzlich zur Professur musste ich meine historischen Studien weiterführen, und es wurde gefordert, dass ich außerdem Magister der Philosophie werden musste. Auch dieses Fach wollte erst einmal studiert sein, was wiederum mit Zeit und Kosten verbunden war.
 
Die ganze Sache zog mir erst einmal jeden Taler aus der Tasche.
 
Amtliche Gebühren wurden erhoben, der Magistergrad verschlang über 40 Taler und die Universitäts-Einführung sollte nochmals 6 Taler kosten.
 
Das Schicksal schien mich fixieren zu wollen und stellte mich vor vollendete Tatsachen, was mich in helle Panik versetzte. Verzweifelt schickte ich per Brief einen Hilferuf an meinen Freund Körner und erwartete mit Ungeduld dessen Antwort.
 
Mir blieb für die Vorbereitungen nicht allzu viel Zeit, denn der Beginn meiner Lehrtätigkeit war für das Sommersemester vorgesehen. Alle Pläne, die ich in Bezug auf meinen Sommeraufenthalt in Rudolstadt geschmiedet hatte, lösten sich in Luft auf. Meine goldene Freiheit war erst einmal dahin! Wie ich mit den anderen Professoren, meinen zukünftigen Kollegen, auskommen sollte, war eine Frage, die mich ebenfalls beschäftigte. Die ungewissen Aussichten, in den nächsten Jahren der Dichtkunst vielleicht ganz entsagen zu müssen, brachten mir trübe Gedanken. Die sonst so freundlichen und schönen Musen wollten nicht verlassen werden.
 
Würde ich ihnen erst einmal den Rücken zukehren, so kämen sie auf kein Rufen zurück. Doch ihre rachsüchtigen Gemüter würde ich auch durch ihre Abwesenheit spüren.
 
Ich war dazu verdammt, mich in den folgenden Monaten auf meine Vorlesungen vorzubereiten und musste die für mich geschmacklosesten Dinge lesen und lernen, die ich am nächsten Morgen wieder vergessen hatte. Wie meistens lieferten mir die Abendstunden die nötige Arbeitsenergie, die ich durch Tee, Kaffee und vor allen Dingen durch meinen Pfeifentabak zu stärken pflegte. Tagsüber schlief ich bis in den späten Vormittag. Das ständige angestrengte Arbeiten in sitzender Haltung und die mir fehlende Bewegung drückten sich in bohrenden Kopfschmerzen und Übelkeit aus, die teilweise meine Tätigkeit hinderten.
 
Anfang Januar hatte ich einen langen Brief an Huber geschrieben. Es war der erste seit langem, denn auf seinen letzten im August hatte ich nicht geantwortet, sondern nur Grüße über Schubarts Sohn ausrichten lassen. Unser Verhältnis blieb nach wie vor ein gereiztes.
 
Ich berichtete ihm von meinen neuesten Plänen, die ich mit Hilfe Bertuchs zu verwirklichen suchte: einer Sammlung historischer Memoiren, wofür ich pro Bogen einen Karolin Honorar bekommen sollte. Ein notwendiges und willkommenes Zubrot zu meinen Lesungen. Im Februar schrieb ich nach Jena an Hufeland, der meine Niederländische Geschichte bestens in der „Allgemeinen Literatur Zeitung“ rezensiert hatte.
 
Ich knüpfte die ersten zaghaften Kontakte und versicherte den Professoren Reinhold und Schütz meine Freundschaft. Bald war ich einer von ihnen, und ich blickte voll schöner Erwartung auf unser zukünftiges Zusammensein.
 
Noch immer suchte ich nach einer Unterkunft, denn die Hoffnung, gemeinsam mit einem Bekannten ein ganzes Haus mieten zu können, hatte sich leider zerschlagen. Endlich hatte Schütz eine passende Bleibe für mich ausfindig machen können, und seine Frau wollte sich um die Möbel kümmern. Zweimal fuhr ich nach Jena, und dank der dortigen Hilfsbereitschaft konnte ich meine Abreise von Weimar für Anfang Mai planen, da ich im April mein Magisterdiplom als Doktor der Philosophie erhielt.
 
Einziger tröstender Lichtblick in dieser angespannten Zeit waren die für den Sommer in Aussicht gestellten Besuche meiner Freundinnen in Jena. Ich sollte von nun an noch weiter von ihnen entfernt sein. Nur die Saale hätte ich mit ihnen gemein, da sie auch an Rudolstadt vorbei floss. 
 
Ich hatte vor, meine Bedürfnisse in Jena gering zu halten, da dort nicht auf Luxus gesehen wurde. So konnte ich leben wie ein Student. Alles, was ich zum Lernen und Lehren benötigte war in reichem Maße vorhanden und auch der Umgang mit Freunden würde mir bestimmt nicht fehlen. Wenn erst das erste Jahr überstanden war, würde es mir besser gehen. Vorher brauchte niemand etwas über mich zu wissen oder gar merken, dass ich an Studien vieles nachzuholen hatte.
 
Um meine Zukunft zu sichern, hatte ich mich dafür entschieden, in den nächsten drei Jahren auf alle Freuden zu verzichten. Um glücklich sein zu können, musste ich in einem sorgenfreien Wohlstand leben und dieser musste nicht von den Produkten meines Geistes abhängig sein.
 
Am 11. Mai zog ich nach Jena um, in meine neue Unterkunft, die „Schrammei“.
 
 schrammei_jena

Die "Schrammei" in Jena. Quelle: Mosapp. Charlotte von Schiller. 1905 (wurde 1945 zerstört)
 


 
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