schiller5

Hohe Karlsschule

Scannen0008

Freifrau Franziska Leutrum von Ertingen. Quelle: Könnecke 1905
 

1728_Carl_Eugen

Herzog Karl Eugen von Württemberg. Maler: unbekannt. Quelle: Wikipedia
 

Die Zeit machte auch vor der fürstlichen Lebenseinstellung nicht halt, denn was zuvor der Befriedigung seiner nimmersatten Leidenschaften diente, also Sinneslust, Künste, Prunk und Luxus, wich der Idee, aus dem einstigen Lustschloss eine höhere Erziehungs- und Bildungsanstalt zu machen.
 
Dieser Sinneswandel kam nicht von ungefähr, denn, wo der Herzog in punkto Frauen zuvor die Abwechslung liebte, wandte er sich jetzt einer einzigen Auserkorenen zu, nämlich der bereits geschiedenen Freifrau Franziska Leutrum von Ertingen, die er schnell zur Reichsgräfin von Hohenheim und später zu seiner rechtskräftigen Gemahlin erhob.
 
So befahl der Herzog die Söhne armer Offiziersfamilien, welche zuvor bei den Landesexamen mit besonders guten Leistungen aufgefallen waren, zwecks Rekrutierung in seine militärische Pflanzschule, um diese dort zu Gärtnern und Künstlern auszubilden.

Da das Geheiß des Fürsten als Gnade angesehen werden musste, der sich mein Vater aufgrund seiner Stellung nicht ohne Repressalien entziehen konnte, willigte ich ein, jedoch mit der Wahl eines anderen Studienfaches.
 
So hatte ich mich für die Jurisprudenz entschieden, wenn dies auch nicht meinen wahren Interessen entsprach.
  
Alle Familienmitglieder waren schockiert, und nur mein Vater schien insgeheim zu ahnen, was mich erwartete. Gerade 13-jährig wurde ich dort im Januar 1773, wie befohlen, zum Studium der Jurisprudenz `abgeliefert’.
 
Die Kasernierung nahm ihren Lauf. Die Zöglinge des Institutes wurden streng nach ihren Ständen getrennt. Sie blieben auch privat unter sich und unterhielten keinerlei Verbindung untereinander.
 
An oberster Rangordnung standen die Söhne der Adligen, genannt „die Kavaliere“, die auch besondere Zuwendungen und Privilegien genossen. „Die Bürgerlichen“ unterteilte man in Offiziers- und Beamtensöhne; die Künstler, „Artisten“ genannt, aus Handwerker- oder Soldatenfamilien stammend, bildeten die unterste Klasse.
 

Stuttgart_SchlossSolitude

Schloss Solitude. Quelle: Wikipedia
 

Ich wurde in eine Schuluniform gesteckt, die mich lächerlich aussehen ließ, weil aufgrund meiner übergroßen Gestalt, Arm- und Beinlänge zu kurz waren. Drill, Schläge und Essensentzug waren an der Tagesordnung. In großen Schlafsälen wurden wir untergebracht und im Sommer um fünf Uhr, im Winter um sechs Uhr geweckt. Danach folgte ein immer gleich ablaufendes Tageszeremoniell, bei dem jeder Schritt im Kommandoton exerziert werden musste.
Betten machen, Toilette, Antreten zum Frühappell, danach in Zweiergruppen zum Frühstück, welches täglich aus Brot und Mehlsuppe bestand, Hände falten zum Gebet, das Hervorziehen der Stühle, das anschließende Hinsetzen und wieder Aufstehen, der Abmarsch. Von sieben bis elf Uhr war Unterricht, Säuberung, Umziehen zum Mittagessen; nach dem Essen bewachter Spaziergang. Erneut Unterricht von vierzehn bis achtzehn Uhr, anschließend nochmalige Säuberung, danach Selbststudium, Abendessen und sofortiges Zubettgehen.
 
Es war mir nicht gestattet Mutter und Geschwister zu besuchen. Ausnahmen gab es nur nach einem gut begründeten Antrag der Eltern. Nur selten durfte mich meine Mutter des Sonntags besuchen.
 Scannen0007

Karoline Christiane "Nanette".
Quelle: Könnecke 1905
 

Meine Schwestern Beata Friederike und Maria Charlotte habe ich gar nicht erst kennen lernen dürfen, weil sie noch vor meiner Entlassung verstorben waren, und meine jüngste Schwester Karoline Christiane, genannt „Nanette“, die im Jahre 1777 geboren wurde, sah ich erstmals nach dem Verlassen der Akademie. So abrupt aus meinem Elternhaus gerissen zu sein, fern ab von der Mutter- und Geschwisterliebe, war für mich eine schlimme traumatische Erfahrung, die ich mein Leben lang in meinen Werken zu verarbeiten suchte. 
 
Es gab in dieser herzoglichen Lernanstalt weder Ferien noch Freizeit und keine Sekunde ohne Aufsicht und Terror. Sieben lange Jahre musste ich diese Hölle der verlorenen Kindheit durchleben! Mein Leben glich einem lautlosen Schrei, der so verzweifelt war, dass er aus der Tiefe meiner Hölle bis zu Gott dringen musste.
 
Meine angeschlagene Psyche schwächte meinen Körper. Oft verbrachte ich meine Tage auf der Krankenstation, was ich zum heimlichen Schreiben nutzte.
 
Die angeborene, schwache körperliche Konstitution machte mich für Krankheiten empfindlicher als andere. Dies ist wohl häufig zutreffend für Personen mit rotblonder Haarfarbe und Sommersprossen, wodurch ich meiner Mutter sehr ähnlich sah. – Wie sehr ich sie damals vermisste!
 
Rotblond schien auch meine Seele zu sein. Höhenflüge zu fremden Sphären ließen sie wahre Tänze vollziehen, die mir allerdings in der Schule verboten waren. Mein Vater und die Militärakademie gaben hier den Takt vor. Respekt und Gehorsam standen weit vor den eigenen Empfindungen und Wünschen. Den Aufforderungen des Fürsten hatten wir unbedingt und widerstandslos Folge zu leisten. Ihm missfiel von Anfang an meine Haarfarbe, was ihn veranlasste, mir das weiße Abpudern derselben zu befehlen.
 
15-jährig bat ich den Fürsten um die Erlaubnis, das Amt eines Gottesgelehrten ausüben zu dürfen. Doch mein Mut wurde enttäuscht. Er lehnte natürlich ab, weil er als katholischer Herzog nicht im Geringsten daran dachte, die Gottesmänner einer anderen Fakultät zu mehren.
 
Ein Traum war ausgeträumt! Hier in der Schule war mir alles genommen, meine Hoffnung und Zuversicht, meine Familie, mein eigener Wille und meine Rechte.
 
Ich begann im Geiste einen Panzer um mich herum zu bauen, der mich wie eine Schildkröte vor den Angriffen und Launen des Fürsten schützen sollte. Wie oft stand ich vor ihm und fühlte mich so erbärmlich devot, seiner Willkür ausgeliefert, wie ein Schwein auf der Schlachtbank. Mit hängenden Schultern und eingezogenem Kopf - was mir bei meinem langen Hals gar nicht leicht fiel - empfing meine Seele die unauslöschlichsten Lektionen seiner nach außen hin deklarierten Fürsorge.
 
Ein Drahtseiltanz begann. Vorsichtig, Schritt für Schritt, musste ich einen Fuß vor den anderen setzen, mein fernes Ziel immer vor Augen: die Freiheit!
 

weckerlin_schiller_21                                                                                       

 Friedrich Schiller (1780).Gemälde von Tischbein nach einer Zeichnung von J. F. Weckherlin
 

Weiter

 

>

Home] [Timeline] [Kleine Einführung] [Virtuelle Zeitreise] [Zeitzeugen] [Impressum und Datenschutz] [Linkliste] [Kindheit und Jugend] [Marbach und Lorch] [Ludwigsburg] [Hohe Karlsschule] [Jura und Medizin] [Die Räuber] [Regimentsmedikus] [Uraufführung Mannheim] [Fiesko und Haftstrafe] [Flucht] [Enttäuschte Hoffnung] [Bauerbach] [Bühnendichter] [Kabale und Liebe] [Theaterfiasko] [Freimaurer] [Rheinische Thalia] [Margaretha Schwan] [Charlotte von Kalb] [Weimarischer Rat] [Zu neuen Ufern] [Leipzig] [Gohlis] [Christian Gottfried Körner] [Dresden] [Henriette von Arnim] [Abschied von Dresden] [Weimar] [Wieland und Herder] [Anna Amalia] [Leben in Weimar] [Teutscher Merkur] [Goethes Geburtstag] [Club der Bürgerlichen] [Bauerbach] [Familie Lengefeld] [Zurück in Weimar] [Charlotte in Weimar] [Volkstedt und Rudolstadt] [Goethe in Rudolstadt] [Rückkehr nach Weimar] [Depression und Arbeit] [Sektierertum] [Berufung nach Jena] [Jena und zwei Engel] [Kontakte und Alltag] [Besuche und Liebe] [Verlobung] [Geständnisse] [Ferien in Rudolstadt] [Mainzer Hoffnungen] [Pläne und Erwartungen] [Heirat] [Erste Zeit der Ehe] [Hystorische Memories] [Totgeglaubte leben länger] [Goethes erster Besuch in Jena] [Bürgers Gedichte] [Schwere Erkrankung] [Wallenstein Idee] [Krankheit und Pflege] [Kant und Unsterblichkeit] [Totgeglaubt] [Karlsbad] [Nachkur in Erfurt] [Schenkung aus Dänemark] [Kant Studium und Kontakte] [Reise nach Dresden] [Studentenunruhen in Jena] [Besuch aus Schwaben] [Besetzung von Mainz] [Französische Bürgerrechte] [Revolutionswehen] [Umzug und Glaubensbekenntnisse] [Guter Hoffnung] [Reise nach Süddeutschland] [Heilbronn] [Geburt des ersten Sohnes] [Ludwigsburg] [Hölderlin] [Tod von Karl Eugen von Württemberg] [Stuttgart] [Zurück in Jena] [Johann Gottlieb Fichte] [Wilhelm von Humboldt] [Die Horen] [Über die Urpflanze] [Reise nach Weißenfels] [Pockenimpfung] [Zu Gast bei Goethe in Weimar] [Wachsende Verbindung] [Universität Tübingen] [Einsame Tage und Erotica Romana] [Plan der Xenien] [Solitude Krankheit und Tod] [Besuch und grüne Tapeten] [Geburt von Sohn Ernst] [Kriegswirren] [Tod des Vaters] [Karoline und Wilhelm von Wolzogen] [Xenien und Gegengeschenke] [Wallenstein Vorstudien] [Gartenhaus in Jena] [Balladenwettstreit] [Goethe reist nach Italien] [Arbeit und Schicksal] [Gartenrichtfest] [Piccolomini und Wallensteins Lager] [Schlussstück] [Plan der Maria Stuart] [Wallenstein vor dem Königspaar] [Umzugspläne nach Weimar] [Geburt von Tochter Karoline] [Charlottes Erkrankung] [Umzug nach Weimar] [Macbeth und neuer Krankheitsschub] [Beendigung der Maria Stuart] [Die Jungfrau von Orleans] [Ruhe in Oberweimar] [Glucks Oper und Jahreswechsel] [Goethes Erkrankung und Tankred] [Die Jungfrau unter dem Panzer] [Uraufführung und Abschied] [Turandot und Mittwochsgesellschaft] [Kotzebue] [Tod der Mutter und Hauskauf] [Theater, Theater] [Erhebung in den Adelsstand] [Die Braut von Messina] [Plan des Wilhelm Tell] [Am Hofe von Weimar] [Die Braut von Messina wird beendigt] [Die natürliche Tochter] [Reise nach Bad Lauchstädt] [Arbeit am Wilhelm Tell] [Madame de Stael] [Fertigstellung des Wilhelm Tell] [Reise nach Berlin] [Geburt von Tochter Emilie] [Die Huldigung der Künste] [Phédre und Demetrius] [Schillers Tod] [post mortem] [Huldigung der Künste]