Kleine Einführung
Stellen Sie sich vor, es gäbe Theater anstatt Fernseher und auf den Marktplätzen würden blutige Hinrichtungen und öffentliche Bestrafungen an die Stelle des Sonntagskrimis treten. Uniformierte würden in den Städten Betrunkene für das Militär anwerben. Überall nur unbefestigte, nahezu unbeleuchtete Straßen und Kopfsteinpflaster. Keine Wasserleitungen, sondern Brunnen. Ein Leben ohne Toiletten, in dem die Nachttöpfe auf der Straße entleert wurden. Wie übel mag es wohl durch die stinkenden Kloaken rings um die Städte gerochen haben!? Es gab weniger Lärm, dafür aber viel Natur. Die Welt schien größer zu sein als heute. Botschaften wurden per Kurier überbracht. Die Kirchen waren voll. Sie dienten nicht nur der Andacht, sondern waren Stätten für wichtige, weltliche Nachrichten.
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Rückblick in die Epoche
Thomas Gainsborough- Der Morgenspaziergang (1785), National-Gallery, London. Quelle: Wikipedia
Das Deutschland des 18. Jahrhunderts hatte die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges noch deutlich zu spüren. Zersplittert in viele kleine Fürstenhöfe war das Deutsche Reich durch den Westfälischen Frieden im Jahre 1648 in 2.000 Gebiete zerfallen, darunter etwa 300 geistliche und weltliche Fürstentümer.
Durch den Einbruch fremder Heere und Soldaten wurden auch deren Sitten in das Land gebracht und nachgeahmt. Zierliche Rüschen-Spitzenkragen, Kniebundhosen mit Schärpe, Seidenwesten und Schnallenschuhe kamen bei den Männern in Mode. Deutsche Edelleute, Studenten und Bürger trugen ihr Haupthaar lang und zu Zöpfen gebunden. Perücken waren sowohl bei den Mannsleuten, als auch bei den Frauen ein modisches Muss. Damals wie heute war die französische Mode Vorbild für die Kleidung der Frauen, die ihre einst sittlich keusche Tracht gegen eine kokette tauschten.
Die Nation war gänzlich in drei Teile gespalten. Ein Teil davon war der Adel, der sich hauptsächlich an den Sitten oder vielmehr an der Sittenlosigkeit der ausländischen Höfe orientierte. Das tat er nicht zuletzt, um sich vom niedrigen Pöbel abzugrenzen. Das Bürgertum respektierte zunächst voller Ergebung die Lebensweise der Aristokratie. Das übrige Volk führte aus dem finanziellen Mangel heraus ein durch Armut und Krankheit geprägtes trostloses Dasein.
Da es an einer Zentralgewalt fehlte, war es durch die vielen, kleinen Fürstentümer zu einer Steigerung der fürstlichen Macht gekommen, was bei den Untertanen zu einer noch stärkeren Unterwürfigkeit führte. Das Nationalbewusstsein ging in diesen Kreisen verloren. Die großen Höfe im Ausland wurden zum Ideal. Besonders französische Sitten und Gebräuche wurden gerne angenommen. Großes Vorbild war vor allem der Lebensstil Ludwigs des XIV., den jeder noch so unbedeutende Landesfürst zu kopieren versuchte. Sittlicher Verfall der Nation und des Volksgeistes waren die Folge.
Die Bildung war oberflächlich, tiefere Geistestätigkeiten wurden abgelehnt. Es herrschte kleinliche Eitelkeit und rücksichtslose Eigenliebe. Schmeicheleien und Liebesdienerei waren Mittel des Weiterkommens. Selbst die Gelehrtenwelt verhielt sich schweigend und duldend aus vorstehenden Gründen.
Das bürgerliche nationale Bewusstsein erwachte zu Beginn des 18. Jahrhunderts erneut, und man konnte das Streben nach einer geistig sittlichen Widererhebung bemerken. Eine Gegenbewegung gegen die Sittenlosigkeit erwachte. Die Mittelklassen begannen ein selbstbewusstes, geistiges Auf-streben und wandten sich gegen die herrschende Oberflächlichkeit der höfischen Kreise. Geistigen Fortschritt erlebten vor allem die Universitätsstädte, aber auch die großen Handelsstädte waren Hochburgen des wiedererwachenden geistigen Lebens.
Gelehrte Wissenschaften und die Philosophie erlebten eine Anpassung an andere Nationen. Es entwickelte sich eine tiefe religiöse Bewegung. Moralische Wochenschriften kamen in Mode, und der Sinn für philosophisch moralische Betrachtungen wuchs ebenso, wie der Sinn für Lyrik und Literatur. Es kam zu einer allgemeinen Verjüngung der Nation. Wissen und Bildung gelangte zu neuer Wichtigkeit. Dies eröffnete die Voraussetzungen, von ganz unten herauf Karriere zu machen.
Zwang und Autorität der Fürstenhöfe und der Kirche wurden zunehmend von den Menschen gehasst. Die neue Art zu Denken war die logische, allein schon um die Welt und das Leben zu begreifen, aber auch um Kritik an der Prunk- und Luxussucht der Fürstenhäuser zu üben. Natur, Einfachheit, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit waren die gefühlsbetonten Attribute der damaligen Literatur.
Vernunft als Forderung der Aufklärung zu entwickeln war jedoch einzig und allein ein Privileg der männlichen Gesellschaft, nicht jedoch die der Frauen. Gelehrte Frauenzimmer waren von der Männerwelt nicht gerne gesehen und galten als exotische Ausnahme. Gefragt war die gefällige Gattin, die zwar über gewisse populäre Kenntnisse verfügen musste, jedoch dem Manne formbar blieb, damit sie seinen Bedürfnissen gerecht wurde.
Das war die damalige Welt, in die ich Sie entführen möchte. Begleiten Sie Friedrich Schiller und seine Zeitgenossen auf eine Reise zurück in das 18. Jahrhundert, in ein Leben ohne fließendes Wasser und elektrischen Strom, wo man die dunklen Stunden des Tages mit Kerzenschein erhellte, sich mittels Pferd und Wagen fortbewegte, und die Medizin noch ohne Narkose und moderne Erkenntnisse praktiziert wurde.
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