Arbeit am Wilhelm Tell
Nach zwölf Tagen kehrte ich von Bad Lauchstädt nach Weimar zurück, auch weil ich diese Untätigkeit nicht länger ertragen konnte. Wie froh war ich, meine Arbeit am Wilhelm Tell wieder aufnehmen zu können! Ich schrieb an Cotta und bat ihn, mir Prospekte von Schweizer Gegenden, besonders aber vom Gebiet des Vierwaldstättersees und dem Rütli zu besorgen.
Außerdem sollte er mir diverse Literatur über die dortigen Gebirgsvölker beschaffen. In Bern war eine neue Chronik über den Wilhelm Tell erschienen. Auch diese wünschte ich zu lesen.
Die drei Eidgenossen beim Schwur auf dem Rütli (Ölgemälde von Johann Heinrich Füssli, 1780). Quelle: Wikipedia
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Die Studie dieses Stoffes war sehr mühsam, doch da die Geschichte des
Wilhelm Tell einen großen Reiz ausübte und sich als Volksstück sehr für die Bühne eignete, ließ ich mich nicht verdrießen und hoffte, die Schwierigkeit des Stoffes endlich zu bewältigen.
Zwischenzeitlich wurde laut, dass Schütz mit samt seiner „Literatur Zeitung“ nach Halle umzusiedeln gedachte, wohin auch Loder berufen wurde, Hufeland und Paulus folgten dem Rufe nach Würzburg, Schelling war bereits im Mai ursprünglich nach Italien aufgebrochen, und Griesbach war immer noch krank. Das Bestehen der Universität in Jena schien dem Untergang geweiht zu sein.
Am 25. August 1803 begann ich mit der Niederschrift des
Tells und bemühte mich nebenher, Shakespeares „Julius Cäsar“ und den „Kaufmann von Venedig“ auf die Bühne zu bringen.
Gustav IV. Adolf von Schweden war mit seiner Frau nach Weimar gekommen und hatte am Abend des 30. August eine Vorstellung des
Wallensteins besucht. Tags darauf ehrte er mich mit dem Geschenk eines Brillantringes, um mir seine Zufriedenheit auszudrücken, weil meine
Abhandlung über den Dreißigjährigen Krieg zum Ruhm der schwedischen Nation beigetragen hätte.
Mitte September erhielt ich einen Brief von Humboldt aus Rom, der mir mitteilte, dass sein ältester Lieblingssohn Wilhelm an einem Nervenfieber gestorben sei. Sein Kummer darüber war außerordentlich groß, und mir wurde wieder einmal klar, wie schnell vergänglich das familiäre Glück sein konnte.
Immer, wenn ich über meiner Arbeit saß, eilte die Zeit wie im Fluge, und ich ärgerte mich immer noch darüber, zwei kostbare Wochen in Lauchstädt verschwendet zu haben, die ich nun wieder nacharbeiten musste.
Zunächst sollte der
Tell bei Iffland in Berlin aufgeführt werden und danach alle Bühnen Deutschlands erschüttern.
Ein Besuch der Schwiegermutter und die Unruhe im Hause behinderten meine Arbeiten, und ich bat Goethe darum, mir sein Zimmer im Jenaer Schloss zur Verfügung zu stellen. Mehrere Tage verbrachte ich dort in Klausur und verabschiedete mich von Lotte, die auf der Heimreise meiner Schwiegermutter über Jena, am 3. Oktober mit nach Rudolstadt fuhr und dort zwei Wochen blieb. Am 7. Oktober 1803 kehrte ich nach Weimar zu den Kindern zurück.
Erbprinz Karl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach. Kupferstich nach Schröder von C. A. Schwerdgeburth, 1807. Quelle: aski.org
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Wilhelm von Wolzogen war bereits im Juli nach Berlin und weiter nach Sankt Petersburg gereist, um von dort aus dem Herzog Karl August mittels Kurier des Zaren die Verlobung des Weimarischen Erbprinzen Karl Friedrich mit der Zarentochter Großfürstin Maria Pawlowna zu melden und die Vorbereitungen zur Hochzeit zu treffen, die am 3. August 1804 stattfinden sollte. Von Wolzogen kehrte erst am 9. November 1804 mit dem fürstlichen Paar nach Weimar zurück.
Ende Oktober 1803 meldete Cotta, dass die „Allgemeine Zeitung“ durch ein Dekret des Kurfürsten Friedrich I. von Württemberg ohne Bekanntgabe von Gründen verboten worden war. Daraufhin verlegte Cotta den Standort nach Ulm, wo das Blatt als „Kaiserlich und Kurpfalzbairisch privilegierte Allgemeine Zeitung“ publiziert wurde.
Den November verbrachte ich in nahezu völliger Abgeschiedenheit von der Außenwelt über meiner neuen Arbeit und wunderte mich darüber, dass die Tage immer kürzer wurden. Karlinchen war zu ihrer Oma nach Rudolstadt gefahren, um dort mehrere Wochen zu bleiben, und die beiden Jungen wurden von Lotte zur Ruhe angehalten, damit sie mich nicht störten. Ich hatte mir vorgenommen, noch vor dem Druck des
Tells in die Schweiz zu reisen, um den historischen Ort des Geschehens in Augenschein zu nehmen und unterrichtete schon jetzt Iffland über die Art des Bühnenaufbaus, der auf Fertigstellung des Werkes bis spätestens März drängte.
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