Reise nach Berlin
Anfang April glich das Haus wieder einem Lazarett, denn die ganze Familie litt an einem fiebrigen Husten, dem mit herkömmlichen Mitteln nicht beizukommen war. So bat ich Professor Stark um Hilfe, denn ich war mit meinem Latein am Ende. Der Husten war schlafraubend, und Lotte klagte vor allem darüber. Außerdem befand sie sich im siebenten Monat einer Schwangerschaft, und ich dachte mit Schrecken an den Verlauf ihrer letzten, als sie fast gestorben wäre. Bereits Anfang August rechneten wir mit Lottes Niederkunft, und es blieb mir nur noch wenig Zeit, um meine Pläne, nämlich eine Reise nach Berlin, zu verwirklichen, verschwieg diese jedoch in Weimar, um Aufsehen zu vermeiden.
Lotte und ich traten gemeinsam mit unseren Söhnen am 26. April 1804 die Fahrt nach Leipzig an, die wir am 29. April in Richtung Berlin fortsetzten. Am 1. Mai 1804 trafen wir ein. Karlinchen blieb in der Zwischenzeit in Weimar.
Es war nicht alleine eine Lustreise, die ich hier unternahm, denn sie war für mich anstrengend und ungewohnt und für meine schwangere Frau noch dazu ein Risiko. Für mich war es eine Flucht aus der öden Kleinstadt, die mir so wenig zu bieten hatte und in der man mir so wenig Herzlichkeit entgegenbrachte. Ich versuchte dem Tod zu entkommen, den ich hier in letzter Zeit so häufig gespürt hatte. Noch einmal wollte ich einen Neuanfang wagen, mich, wenn auch ungern, an eine fremde Umgebung gewöhnen und nicht zuletzt eine wesentliche Verbesserung meiner Existenz vornehmen, da ich mir in Weimar keine gesicherten Rücklagen für meine Kinder schaffen konnte.
Pauly hatte mir bei seinem Besuch in Weimar bereits ein entsprechendes Angebot gemacht, das auf einer Zusammenarbeit mit dem Berliner Theater und Iffland beruhte.
Iffland empfing mich freundschaftlich. Er hatte alles für mich vorbereitet, um mir Theatergenüsse ohnegleichen zu bieten, die mir unvergesslich blieben.
Einige meiner Werke, wie
Die Braut von Messina, die
Jungfrau von Orleans und den
Wallenstein brachte er mir zu Ehren während unserer Anwesenheit auf die Bühne, und es war ein höchster Genuss, diese in eindrucksvoller Inszenierung in größtmöglicher Vollkommenheit zu sehen. Iffland glänzte selbst in den Hauptrollen und durch das begeisterte Publikum wurde selbst auf den Straßen Berlins mein Name in den höchsten Tönen gepriesen.
Ich sah einige, mir aus Jena bekannte Gesichter wieder, darunter Hufeland, der zum Königlichen Leibarzt und Direktor der Charité emporgestiegen war und freute mich über jede neue Bekanntschaft. Berlin war die große preußische Metropole mit damals schon 200.000 Einwohnern, die mit breiten, geraden Straßen und schönen, neuen Häusern weder Historisches, noch den Charakter ihrer Bewohner widerspiegelte.
Bereits kurz nach unserer Ankunft waren wir zu Gast bei Prinz Louis Ferdinand, der uns zur Mittagstafel lud, und nachdem wir zuerst im Hotel „Unter den Linden“ logierten, bot uns Hufeland ein Quartier in seinem Hause an.
Prinz Louis Ferdinand von Preußen Gemälde von Jean Laurent Mosnier, um 1800. Quelle: Klassika.info
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Danach pausierte ich einige Tage lang zwangsläufig, denn ich war völlig erschöpft und musste mit einem katarrhalischen Fieber das Bett hüten.
Am 13. Mai wurden wir vormittags im Charlottenburger Schloss von Königin Luise empfangen, die bereits im Vorfeld von Kabinettsrat Karl Friedrich Beyme, dem Vertrauten Wilhelm III., über meine zuvor mit Iffland gemachten Überlegungen informiert worden war, der meinte, ich müsse in die Akademie gewählt werden, um dann für das National-Theater arbeiten zu können.
Ich hatte mich dahingehend geäußert, dass ich gerne in Berlin bleiben würde; mindestens einige Jahre.
Eigentlich war für die Schulung des Kronprinzen der Schweizer Historiker Müller vorgesehen, und ich hatte ganz beiläufig bemerkt, dass dessen tiefe Gelehrsamkeit eine gewisse Trockenheit in den Unterricht bringen würde, die bei Fürsten genauso zu vermeiden wäre, wie das Romantische.
Da der Herzog Karl August aufgrund einer militärischen Inspektionsreise am 16. und 17. Mai selber in Berlin weilte, wurde er von meiner dortigen Anwesenheit in Kenntnis gesetzt.
Am selben Tage folgten wir einer Einladung nach Sanssouci, zu einem Frühstück mit dem preußischen Königspaar, woran auch Ernst und Karl teilnahmen. Danach erfolgte eine Zusammenkunft bei Kabinettsrat Beyme, der mir im Namen des Königs ein Gnadengehalt von 3000 Reichstalern, nebst freiem Gebrauch einer Hofequipage anbot, wenn ich mich entschließen könnte nach Berlin zu ziehen.
Direkt von Potsdam aus traten wir die Heimreise über Wittenberg und Leipzig nach Weimar an, wo wir am 21. Mai 1804 eintrafen.
So überaus verlockend das Berliner Angebot auch sein mochte, ich sah es als meine erste Pflicht an, den Herzog offiziell darüber in Kenntnis zu setzen und ihm indirekt über Goethe meine Wunschvorstellungen zukommen zu lassen, die da lauteten, meine Besoldung solle sogleich um das Doppelte erhöht, und zusätzlich, in einigen Jahren, auf volle 1000 Reichstaler aufgestockt werden.
Da der Herzog anscheinend erleichtert war, dass ich die hiesigen Bande nicht lösen wollte, gab er mir über Voigt seine Zusicherung, meinen Wunsch in aller Diskretion zu erfüllen. Ich sollte einen Brief nach Berlin schicken und unterstreichen, dass dort ein Aufenthalt für einige Monate im Jahr völlig ausreichend sei, und dass diese jeweils kurze Zeit der Anwesenheit ihren eigentlichen Zweck erfülle, so dass ein jährliches Gehalt von 2000 Reichstalern ausreichend wäre, um in Berlin mit Anstand zu leben. Doch der Kabinettsrat Beyme legte mein Schreiben ohne Antwort ad acta, und der Königshof hüllte sich in Schweigen.
Lotte machte ich mit meinem Entschluss, in Weimar zu bleiben, die größte Freude. Wie immer hatte sie über ihre eigenen Wünsche geschwiegen und folgte meinen Ansichten und Plänen. Wie immer ließ sie mir meine ganze Freiheit und verbat sich selbst, mir ein „Nein“ zu sagen. Doch sie hatte schon auf der Rückfahrt vielsagend geschwiegen, und ich merkte, wie ihr bei dem Gedanken, in Berlin leben zu müssen, das Herz schwer wurde. Erst als sie die Thüringer Berge wieder sah, traten ihr die Tränen in die Augen, und später gab sie zu, dass sie das Leben in der Großstadt zur Verzweiflung gebracht hätte, denn genauso trostlos wie die Natur, erschienen ihr auch die dortigen menschlichen Verhältnisse.
Letztendlich war ich froh in Weimar bleiben zu können, weil mich meine Bequemlichkeit schreckte, und ich ungern alte Verhältnisse zerriss.
Mir war wieder bewusst geworden, dass ich in Weimar ein Zuhause hatte, in dem ich mich absolut frei bewegen konnte.
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