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 Weimar

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Weimar, Kupferstich, koloriert. Franz Hogenberg 1588. Quelle: Wikimedia
 



So fuhr ich über Leipzig und Naumburg Richtung Weimar, wo ich am Abend des 23. Juli 1787 eintraf. Ich quartierte mich im Gasthof „Zum Erbprinzen“ ein, bis ich eine feste Unterkunft gefunden hatte. Weimar war mit knapp 6000 Seelen nicht sonderlich groß. Die Stadt machte mit ihren engen Gassen und den teils Stroh oder Schindel bedeckten Häusern einen eher bäuerlich, dörflichen Eindruck. Nach einigen Stunden erkundete ich die Umgebung und kam zu dem Schluss, dass mir die Anlagen des herzoglichen Parks am Besten gefielen.
 
Bereits vor meiner Anreise hatte ich Charlotte von Kalb über meinen Besuch informiert. Ich setzte mich sogleich daran, zwei Billets zu schreiben, die ich per Boten zu Wieland und Herder bringen ließ, in der Hoffnung, von ihnen baldigst empfangen zu werden.
 
Beide gehörten zu den hochrangigen Personen Weimars und waren Mitglieder des Musenhofes. Goethe, der ebenfalls dazugehörte, befand sich zur Zeit meiner Ankunft gerade auf seiner Italienreise. Eigentlich hatte ich mir die Unterstützung des Herzogs Karl August erhofft, doch dieser war auf dem Weg nach Potsdam, um dort an Manövern teilzunehmen, und auch seine Gemahlin, Herzogin Luise, weilte nicht in der Stadt, sondern in Aachen.
 
In Naumburg hatte ich den Herzog von Sachsen-Weimar um nur eine Stunde im Posthaus beim Pferdewechsel verfehlt, und ich empfand es als rechtes Unglück, ihn nicht getroffen zu haben.
 
Charlotte von Kalb war zwischenzeitlich von Mannheim nach Weimar gezogen und hatte mich schon früher aufgrund unseres freundschaftlichen Bandes eingeladen, sie dort zu besuchen. Hierhin führte mich nun das Schicksal, und ich folgte dem Rufe dieser Frau, um mich von ihr in die Weimarer Gesellschaft einführen zu lassen.
 
Ich hatte sie seit meiner Mannheimer Zeit, zuletzt im April 1785, nicht mehr gesehen, doch der briefliche Kontakt zu ihr war eigentlich nie ganz abgebrochen. Als wir uns dann bereits am Abend meiner Ankunft gegenüber standen, hatte dieses Wiedersehen etwas aufregend Wehmütiges, das so manche schöne und auch weniger schöne Erinnerung sofort wieder in uns wach rief. Etwas Unaussprechliches stand im Raum, das uns am freien Umgang miteinander hinderte, und es verging einige Zeit bis der Bann der Verlegenheit gebrochen war. Doch dann war mir so, als hätte ich sie erst gestern verlassen, und eine neue Vertrautheit knüpfte sich an die alte. Charlotte hatte schon früher sonderbar anziehend auf mich gewirkt, und auch jetzt entdeckte ich neue, bisher unbekannte, liebenswerte Eigenschaften an ihr, obwohl sie häufig durch ihre beinahe hysterische Art des Lachens recht unsicher und eigentümlich wirkte.
 
Ihr Mann war immer noch Hauptmann im französischen Regiment Zweibrücken, das in Pfalzburg in Lothringen lag. Er wurde erst wieder in den Wintermonaten zurückerwartet, in denen er seinen Urlaub in Kalbsrieth und Weimar verbringen wollte.
 Charlotte von Kalb

Charlotte von Kalb



Charlotte wohnte zusammen mit ihrem Sohn Karl Friedrich in Weimar, und der Gedanke daran, ihren Mann in den Wintermonaten im nahen Umgang ertragen zu müssen, machte ihr schon jetzt wenig Freude. So unbequem wie nur möglich wollte sie ihm das Leben nach seiner Rückkehr in Weimar gestalten, so, dass er aus eigenem Entschluss nach Dresden weiterreisen sollte.
 
Charlotte schloss später die Möglichkeit eines gemeinsamen Lebens mit mir nicht aus und stellte es ab Oktober in Aussicht. Wie schon in der Mannheimer Zeit scheute ich mich zunächst, den letzten Schritt zu dieser diskreten Verbindung zu wagen, doch war es letztendlich zu reizvoll, ihm auf Dauer zu widerstehen. Wir beide waren mehr als ausgehungert, und Charlotte machte offiziell kein Geheimnis aus unserem Verhältnis. 
 
Sie lebte sehr zurückgezogen, versprach mir aber, dies meinetwegen zu ändern. Bald schon wollte sie mich Anna Amalia, der Herzoginmutter, vorstellen. Aufgrund meiner anfänglichen Unsicherheit versicherte sie mir, dass mein öffentliches Benehmen durchaus akzeptabel sei, und ich mich meiner Manieren wegen nicht zu schämen brauche. Charlotte gab mir sehr viel Selbstsicherheit, und ich verlor mit der Zeit meine anfängliche Scheu vor den Größen dieser Stadt.
 
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