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Goethes erster Besuch in Jena


Noch vor meiner Abreise nach Rudolstadt musste ich Maucke den Schluss zum 3. Band meiner Memoires übersenden, und ich forderte ihn mit gleicher Post auf, mir mein vereinbartes Honorar zu zwei Drittel, nämlich 16 Karolin, auszuzahlen, damit ich andererseits meinen dringendsten Zahlungsverpflichtungen nachkommen konnte.

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Goethe. Zeichnung von Lips 1791. Quelle: Könnecke 1905
 



Doch zu meiner bösen Überraschung war Maucke zur Michaelismesse abgereist, ohne über mein Honorar Verfügungen getroffen zu haben, und ich stand, genau wie im vergangenen Jahr, vor der Unausweichlichkeit, mir von Hufeland, dem 2. Redakteur der „Allgemeinen Literatur Zeitung“, eine Auszahlung zu erbitten. Erst als dieser meiner Bitte nachgekommen war, konnte ich endlich meine Reise antreten. Die Zeit in Rudolstadt wollte ich ausschließlich zur Entspannung nutzen, denn diese hatte ich mir redlich verdient.
 
Zwölf Tage verbrachte ich mit Essen, Trinken, Schach- und Blindekuhspielen, doch meine Unart, bei längerem Müßiggang unruhig zu werden, hatte mich ziemlich schnell übermannt, und ich war froh, nach der eigentlich kurzen Ferienzeit wieder meiner Arbeit in Jena nachgehen zu können.
 
Wenige Zeit nach unserer Rückkehr machte Goethe uns zum ersten Male seine Aufwartung. Ich war sehr überrascht und versuchte meine Vorbehalte gegen ihn beiseite zu schieben. Wir unterhielten uns angeregt, auch über Kant, vielmehr über das, was Goethe darüber gelesen hatte, und ich fand es interessant zu beobachten, wie er alles mit seiner gewissen Eigenart und Manier umkleidete. Obwohl ihn viele Dinge zu interessieren schienen, konnte er sich anscheinend zu keiner Sache von Herzen bekennen. Seine Betrachtungen blieben in allem oberflächlich, klangen überzeugungslos; deshalb bot er mir auch keine Grundlage für ein tiefer gehendes Gespräch, denn er betrachtete alles nur von seinem Standpunkt aus. Seine Vorstellungskraft schien im Allgemeinen zu sinnlich zu sein, er schaute nur auf das Äußere, nie auf das Innere. Aber sein Geist versuchte auf vielen Gebieten zu forschen und zu wirken und war stets auf der Suche nach der ganzen Wahrheit, und darin erkannte ich in ihm den großen Mann.
 
Goethe erzählte viel von meinem Freund Körner, ja rühmte sehr dessen Bekanntschaft in Dresden. Das teilte ich Körner auch umgehend mit, wobei ich den mit Goethe verbundenen Klatsch um dessen Person nicht ausließ. Zu oft hatte der alte Hagestolz über die Weiberliebe gelästert, die sich nun rächen sollte. Ganz Weimar redete von seinem ungebührlichen Verhältnis zu einer gewissen Christiane Vulpius, die dort am Ort einen schlechten Ruf genoss und seit längerer Zeit Goethes Lebensgefährtin war. Sie hatte ein fast einjähriges Kind von ihm, einen Sohn, Julius August Walther, den er sehr liebte und sich wohl bereits seit 1788, sehr zum Leidwesen der Frau von Stein, in Goethes Haus etabliert. Man redete davon, dass er diese Person dem Kinde zuliebe in ein paar Jahren heiraten würde, um es nicht auch noch der Lächerlichkeit preiszugeben.   


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